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Friday, November 23, 2007

Fabrizio Cassol zu Susanne Linke & Alain Platel3: "Hoffnung liegt im Mysterium, warum wir leben"


Fabrizio Cassol (photo © Elfi Oberhuber)


Wie aus Häßlichkeit Schönheit wird, und wie Spiritualität als Religionsersatz das Leben verbessert, wo natürlicher Sex nicht fehlen darf - darum geht es im dritten Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit den Tanz- und Musikkünstlern ALAIN PLATEL, FABRIZIO CASSOL und SUSANNE LINKE. Für Einführung und Teile 1, 2 scroll down!

Kurzprofil FABRIZIO CASSOL ist am 8.6.1964 in Ougrée/Belgien geboren (Sternbild Zwillinge). Schon während des kammermusikalischen Studiums mit Improvisation und Komposition am Konservatorium in Liège, wandte sich der frühausgezeichnete Saxophonist dem Jazz zu, was er bei Steve Coleman, Evan Parker und Joe Lovano intensivierte. Nach einer Reise in den afrikanischen Busch zum Stamm Aka pygmies gründete er 1992 mit Bassist Stéphane Galland und Schlagzeuger Michel Hatzigeorgiou Aka Moon, bis heute Cassols Hauptband im Bereich Jazz, Rock, Weltmusik und Avantgarde (einschließlich Elektronik). Daneben werkt(e) Cassol in acht Bands, darunter seit 2004 auch bei DJ Grazzhoppa's DJ Big Band (Hörprobe), wo er als Solo-Saxofonist zu 12 Computer-DJ´s live spielt. Doch auch mit Aka Moon (www.akamoon.com) erkundet Cassol neue Wege: die afrikanische Inspiration erweiterte sich zur Indischen, Kubanischen, zum Tanz (etwa für Rosas als Residence-Musiker an der Brüsseler La Monnaie/De Munt), zum Theater (KVS: Royal Flemish Theatre) und zur Oper (Luc Bondys und Philippe Boesmans Oper Wintermärchen - Hörprobe). Für V.S.P.R.S. von Alain Platels Les Ballets C. de la B., bearbeitete Cassol Monteverdis Barockoper Vespers (Hörproben), live gespielt mit dem barocken Oltremontano & Aka Moon sowie Jazz-SolistInnen (u.a. Tcha Limberger - Flöte/Geige). Die CD ist für den Belgischen Klara Musikpreis 2007 als beste CD des Jahres nominiert, der Sieger wird am 1. Dezember 2007 verkündet. Zuletzt erschien von Aka Moon die 19. CD Amazir (Hörprobe). Cassol unterrichtet an Musikuniversitäten (Etterbeek Musikakademie), erfand 2001 mit dem Instrumentenbauer François Louis das zweistimmige Sopransaxofon Aluchrome, nachdem er 1998 mit dem Belgischen Goldenen Django zum besten französischsprachigen Künstler gekürt worden ist.


Von der häßlichen Deformierung zu filigraner Schönheit

intimacy-art: Wie läßt sich etwas Häßliches wie "Deformierung" - was vom Leben als "angekränkelt" weg und hin zum Tod zu führen scheint - in etwas Schönes verwandeln?
SUSANNE LINKE: Die Kunst des Tanzes liegt an sich in der Klarheit, nicht im Tanz selbst. Die Idee dahinter muß klar sein. Dadurch tritt erst die Schönheit zutage. Sie passiert als fragiler Moment, wenn es auf der Bühne zu transzendentaler Spiritualität kommt. Spiritualität und Klarheit des Gedankens hängen zusammen. Häßliche Stellungen und Haltungen sucht man dabei nicht bewußt. Sie entstehen durch das innere Gefühl für ein Thema. Sollte sie ein Außenstehender, abgeleitet von "der üblichen Pose", nicht als "schön" bezeichnen, so kann dieser sie doch als schön empfinden, wenn sie technisch perfekt ausgeführt wird.
intimacy-art: Sie gelten diesbezüglich als Phrasierungskünstlerin, die jede Geste zur Gänze ausführt. Das soll Ihre auratische Schönheit ausmachen.
LINKE: Wahrscheinlich, ja. Es ist eine Technik des Körpers. Und ich praktiziere sie mehr denn je.
ALAIN PLATEL: Vielleicht stimmt das mit der Purifikation, der Reduktion auf Klarheit, ja, ... (überlegt) ... eigentlich weiß ich es aber nicht.
FABRIZIO CASSOL: Ich denke, Alain schafft den Akt der Purifikation, indem er mit größerer Aufmerksamkeit gegenüber den Leuten arbeitet als sonst jemand, gegenüber dessen, "wer sie sind, was sie fühlen".
intimacy-art: In der Aka-Moon-V.S.P.R.S.-CD habe ich aber auch bei Ihnen wunderschöne, pure Musik-Momente gefunden.
CASSOL: Hmm ...
PLATEL: Glücklicherweise ist sich Fabrizio dessen nicht bewußt. - Sagen Sie es ihm nicht!
CASSOL: Eines weiß ich aber: in Musik und Tanz verläuft das mit der Schönheit unterschiedlich. Geht man davon aus, dass die Schönheit an Harmonie gebunden ist, dann entspricht die Harmonie der Balance von Spannungen. Fordert Alain eine Tänzerin auf, mit ihrem Körper etwas zu repräsentieren, das in ihr arbeitet, ist das aber ein völlig anderer Prozeß als in der Musik. Das zeigt sich am Ende, indem wir innerhalb des eingespielten Teams nicht einfach einen Musiker austauschen können. Bei Alain drücken sich die Tänzer stets durch sich selbst aus, oder er bringt sie dazu, alles von gegensätzlicher Seite aus zu betrachten - das finde ich wiederum spirituell.
PLATEL: Meine größte Schwierigkeit bei dieser Frage ist, dass ich eigentlich nur sehr wenige Dinge häßlich finde. Also so, dass ich "wäääähhhh" schreie. Mir graust, wenn jemand während einer Operation einen Körper aufschneidet. Andererseits ist es fesselnd zu abstrahieren, wie wohl das Material unter der Körperöffnung ausschauen mag. Wenn Leute von häßlichen und schönen Bewegungen sprechen, frage ich mich stets, was sie damit meinen. Trotz Wissens, dass manche Bewegungen als häßlich angenommen werden, weil sie das Gegenteil eines gefällten Klassifizierungsurteils von "schön" sind. Um jene fürs Publikum akzeptabler zu machen, mußt du es dazu bringen, anders darauf zu schauen. Wahrscheinlich durch Beifügung anderer Spannungen. Musik kann sehr zur Akzeptanz beitragen, besonders Fabrizios "Barockmusik". Einige Bewegungen der Tänzer würden mit anderer Musik vielleicht als häßlich empfunden werden. Selbst wenn es mancher sicher auch so noch für "extrem" hält.
intimacy-art: Sie haben auch den Ruf, geschmackvoll zu arrangieren, selbst wenn die Leute auf der Bühne emotionale Grenzen überschreiten.
PLATEL: Ich würde sie nie darum bitten, etwas sehr Irres oder Extremes zu machen. Meist werde ich davon inspiriert, was sie mir vorschlagen. Das akzentuiere ich dann mit Vorschlägen. Ich weiß aber, dass bisher in jeder Produktion in jedem von uns etwas geschehen ist, wo wir unsere Grenzen jeweils ein wenig mehr überschritten haben. Doch selbst wenn manches momentan schmerzvoll oder schwierig war, war es in Summe letzenendes nicht schlecht, weder psychisch noch physisch. Das erfahren wir bei jedem Auftritt als wachsender Prozeß...
CASSOL: Ich mag an Alain, dass er im Bereich der Harmonie, der Balance an Spannungen, am weitesten geht.
PLATEL: ... Ich achte aber sehr darauf, dass sich die Akteure nicht aus reinem Selbstzweck oder bis zur Selbstverletzung verausgaben. Das möchte ich keinesfalls, weder auf der Bühne sehen, noch Teil davon sein. Dass Leute ihre Grenzen überschreiten, macht mir dagegen keine Probleme. Musiker tun das auch, indem sie Dinge auf der Bühne machen, die sie zuvor nie machten. Und auch sie sind dabei nicht unglücklich.
CASSOL: Wenn normalerweise Tänzer springen, kommen sie danach wieder zurück auf die Erde. - Wenn Musiker springen, kommen sie danach nicht zurück. Du kannst als Musiker springen, springen, springen, immer weiter... Du stehst zwar mit deinem Körper da, innen drin kannst du aber immer weiter abtriften. Sehr weit. Wenn Musik auf Tanz trifft, ist das das erste große Problem. Nur bei Alain ist es anders: Seine Tänzer kommen nicht auf die Erde zurück. Er hat die Fähigkeit, alles in ständiger Spannung zu halten. Und das ist dann echt inspirierend für die Musiker, selbst wenn es ein nie fertiger, täglich neuer Knochenjob ist. Auch, weil er in der langsamen Bewegung arbeitet, in Details. Das erhöht die Spannung noch. Andere - wie oft im Ballett - springen, springen, wie verrückt, zum oberflächlichen Staunen der Zuschauer. Echtes Staunen wie bei Alain ist dagegen rar.

Susanne Linke (photo © Elfi Oberhuber)


Neues Wort für eine undogmatische Völkerreligion

intimacy-art: Sie bezeichnen Monteverdis Musik als dogmatisch besetzt: Indem die Religion am Ende der Sinn des Stücks ist. Sie dagegen bringen Spiritualität in den Weg und die Art des Erzählens...
PLATEL: Ich mag sehr, wie Sie das erklären: nicht als Ziel die Religion zu haben, sondern auf dem Weg...
CASSOL: Ich bevorzuge die Spiritualität der Menschheit gegenüber der Religion. Zu Monteverdis Zeiten wurden Menschen ohne Wahl ihres ureigenen Glaubens geboren, sie waren automatisch katholisch, selbst wenn sich schon in dieser Periode ein komplexerer Christenkult abzeichnete, angefangen vom Protestantismus. Das steckt auch schon im originalen Vespers. Ob Monteverdi selbst eine Wahl bezüglich seines Glaubens hatte, weiß ich nicht, doch war Mozart zumindest schon freier als Bach. Und sobald Menschen freie Wahl im Glauben haben, öffnen sich für sie weitere Türen. Umgekehrt wird ein Dogma heute als viel härter empfunden als in Monteverdis Zeiten. Selbst wenn man früher praktisch tot war, wenn man anders als die Gemeinschaft glaubte.
intimacy-art: Wie brachten Sie die erdige Spiritualität konkret in die Musik? Ist es der Jazz, die ethnische Art, wie Sie damit umgehen?
CASSOL: Das Ethnische bezog sich zunächst auf die Lebensrealität der Tänzer, wo einer aus Brasilien kommt, der andere aus Argentinien, einer von Neuseeland, von Korea, von Vietnam, aus Frankreich, usw.. Anfangs arbeiteten sie zur originalen Monteverdi-Version, sodass ich nach einer Weile wußte: es muß ein anderer Sound her, der wirklich zu den Tänzern paßt. Sonst wäre es für mich wie eine koloniale Konvertierung gewesen, diese Leute aus aller Welt in einen gleichen, westlichen Sound zu stecken. Daher die Notwendigkeit, diese Musik ethnisch zu transformieren, wobei ich auch jede einzelne Textphrase entdogmatisierend umschrieb.
intimacy-art: Können wir also sagen, dass diese Musik für eine übergreifende Religion steht, wo alle Religionen in Frieden zusammen finden?
CASSOL: Nein, ich hoffe, es kommt nicht als eine Religion daher. Wobei sich das Paradoxon ergab: Je mehr ich Musik und Text entdogmatisierte, desto mehr wollte ich von den Sängern verstehen können, worüber sie sprachen, selbst wenn es Latein ist. Dabei sollten sie zur anfänglichen Idee des Textes zurück finden...
intimacy-art: Gibt es also noch eine Religion in der Neufassung V.S.P.R.S., oder nicht?
CASSOL: Es ist wie in der Malerei. Wir hatten die erste, die zweite, die dritte Periode, und jetzt sind wir auf dem Weg zur vierten Periode. Die Musik Monteverdis wurde zu religiösen Diensten geschrieben, was ich in der ersten Periode ablehnte. Nun, in der vierten Periode, kommen wir mit jedem kleinen Detail von Alains Tanzqualität zurück zu den religiösen Diensten, nur nicht im katholischen, muslimischen oder hinduistischen Sinn: sondern auf eine neue Art. Und ich denke: In diesem Stadium sollten wir ein neues Wort für den "religiösen Dienst" erfinden, um all den negativen Konnotationen zu entgehen ...


Ekstase im Leben, Nichts nach dem Tod - oder doch noch was ...

intimacy-art: Spielen in dieser neuen "Spiritualreligion" Ekstase und Sexualität eine Rolle?
PLATEL: Wir haben bald entdeckt, dass das in diesem Kontext mitspielen muss, und zwar auf natürliche Weise. Viele Leute interpretieren manche Zeichen der Performance als sehr sexuell, sodass wir im Zusammenhang mit Gebet und Religion einen Clash erhalten. So empfinden es manche - allerdings eher von außen als von innen. Eine Szene wird von der Presse mit "kollektiver Masturbation" benannt, die wir "gemeinsames Zittern" nannten. Selbst wenn jeder wußte, dass die Haltung dabei der Selbstbefriedung entlehnt ist. Es steht aber für mehr als das.
intimacy-art: Für einen höheren, verbindenden Geist der Gemeinschaft?
PLATEL: Ja. Ansonsten gibt es Momente, die ausdrücklich sexuell sind. Doch würde man sie stoppen, wären sie schwindend kurz. Nur in den Augen des Betrachters werden sie riesengroß.
intimacy-art: Liegt in diesen Momenten aus genau diesem Grund der Sinn des Lebens? In den herausfordernden Erregungskicks und der gemeinsamen Entspannung danach?
PLATEL (nickt): Prinzipiell glaube ich, jeder Mensch sucht in seinem Leben Beweise für die Tatsache, dass er lebt. Die kannst du dir schaffen, indem du etwas kreierst, Frauen können als glücklich Bevorzugte Kinder gebären. Jeder sucht etwas, womit er seine Unterschrift hinterlassen kann, um zu sagen: Ich war da.
intimacy-art: Den Berg aus Unterwäsche von Bühnenbildner Peter De Blieck interpretiere ich als Berg dieser "Unterschriften", auf dem die letzten Tänzer im Stück die Leichen der anderen zusammentragen. Und alles endet hoffnungslos.
PLATEL: Ja, mit dem Massensterben entkräfteter Menschen. Doch in der Musik bleibt die Hoffnung. Daran glaube ich auch sehr. Selbst wenn auf der Bühne (lacht) nicht mehr viel übrig ist.
CASSOL: Für mich lebt der Berg sehr wohl. Schon weil auf der Bühne naturgemäß alles lebt. Alles lebt: als Symbol.
PLATEL: Nein, ich denke, der Berg ist das Ende und damit der Tod. Nichts gibt´s dahinter. Deshalb soll man ja bestenfalls im Leben spi/rituell leben.
CASSOL: Oh nein, auch dahinter lebt etwas, etwas sehr Geheimnisvolles. Dafür steht auch die Musik: für das Mysterium, warum wir überhaupt auf der Welt sind ...

...und darüber wird noch bis in alle Ewigkeit gestritten werden... Emen.


l: Alain Platel, r: Fabrizio Cassol, (photos © Elfi Oberhuber)

(Interview-Auszug vom 4.+6.6.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch+Englisch gemischt) über intimacy-art@gmx.at)

Thursday, April 05, 2007

Jon Regen 2: "Ich wünsche mir eine Frau für Zuhause, aber sie darf mich nicht ändern wollen"


(photos © Elfi Oberhuber)


Nachdem der New Yorker Blues-Jazzer JON REGEN für einen kurzen Toncheck vor dem Konzert im Wiener Birdland seine neuen Titel Let It Go (auf gleichnamiger im April erschienener CD) und It´s All Right By Me gespielt hat, geht es weiter mit dem letzten Gesprächsteil mit ELFI OBERHUBER. Für Einführung und Teil1 scroll down.

JON REGEN SPIELTE IM OKTOBER 2007 SEINE NEUEN SONGS IM BIRDLAND!!! - Die Kritik dazu, sowie zur neuen CD Let It Go steht auf intimacy: art in CRITIC
.
Und: Er kommt wieder am 15.5.2008 ins WIENER BIRDLAND, UM 20h, wo sie sich vom Gehalt der Kritik überzeugen können!!!
Und: Am 17.5.2008 wird JON REGEN´s Trio ab 20h live am Wiener Rathaus beim Life-Ball zu sehen sein. Das Event wird im ORF und per 3-Sat übers Fernsehen übertragen!



Symbiose von freier und "angewandter" Kunst als zu erreichendes Ziel

Fortsetzungstext (Deutsch-Annäherung zu) -
Jon Regens Song
What Am I Supposed To Do From Here/
Was soll ich von hier aus tun?
(in CD: Almost Home, 2004)
Für den Liedanfang scroll down zum
Gespräch mit Jon Regen 1


intimacy-art (nachdem Jon Regen am Klavier gespielt und gesungen hat): Jetzt wird mir klar, was Sie in Frauen erwecken, nachdem sie Sie beim Spielen gehört haben. (lacht)
REGEN: Ein Segen Gottes. (lacht)
intimacy-art: Sie sind der Sohn eines Werbers und einer Grafik- Fotokünstlerin.- Sie müssen also den Konflikt zwischen kommerzieller / angewandter Kunst und freier Kunst von klein auf mit bekommen haben.
REGEN: Natürlich. Meine Eltern waren komplett gegensätzlich. Mein Vater war ein Schreiber fürs Geld und textete die Slogans sehr bekannter Kampagnen wie von Panasonic. Meine Mutter war so weit wie nur möglich davon entfernt und studierte auf der ganzen Welt. Sie stellte ihre sehr künstlerischen Fotos aus und machte politische Protest-Kunst. Sie kämpft ein wenig mit der Vorstellung, dass ich als Entertainer immer erfolgreicher werden könnte. Sie mag keine "angewandte" Kunst.
intimacy-art: Sie ist also die einschlägige Jazzerin.
REGEN: Ja, sie war mit mir als reiner Jazzpianist glücklicher. Und meine Schwester ist Rechtsanwältin.
intimacy-art: Sie ist also ganz von der Kunst entfernt.
REGEN: Sie spielte Flöte als Kind und war sehr musikalisch. Ich war der "Angstfreie" der Familie. Obwohl es für mich sehr lange ein harter Kampf war, diesen Traum erfüllt zu bekommen. Und es ist noch immer nicht leicht, das weiter zu bringen. Aber es wird besser und besser. Ich habe viel Glück.
intimacy-art: Haben sich diese frei-angewandt-Kunst-Unterschiede für Sie selbst entschärft? Denn es ist ja Ihr Wunsch, (mit "Let It Go") populärer zu sein, was Sie auch als künstlerisch befriedigend empfinden.
REGEN: Wir arbeiten noch immer darauf zu, wie ich speziell den Song Let It Go mögen werde. Das ist ein schwieriger Punkt, wo alles zusammen gemischt wird. Und bestimmte Unsicherheiten, wie die Leute darauf reagieren, hat man immer, wenn man etwas herausbringt. Selbst wenn mich die ganze CD prinzipiell sehr freut.

Zuerst kommt der Glaube an sich selbst

intimacy-art: Was ist jetzt die höchste Leistung für Sie als Künstler: Etwas zu produzieren, das vielen Leuten gefallen kann? Mit Stars der Szene zu arbeiten? Oder sich selbst auf ehrliche Weise auszudrücken?
REGEN: Muß ich eines davon auswählen?!
intimacy-art: Oder muß alles zusammen treffen?
REGEN: Es geht prinzipiell um Auswahlmöglichkeiten, wobei meine Musik von mehr Leuten gehört werden soll, und ich mit den Stars von heute arbeiten will, weil sie mich in neue Welten bringen und mich herausfordern können. Am wichtigsten ist mir aber, weiterhin an das, was ich mache, glauben zu können. Und hoffentlich kommt dabei die Ehrlichkeit dieser Musik heraus, die dann der Grund sein wird, warum sich die Leute angezogen fühlen. Almost Home machte ich um sehr wenig Geld, ganz allein, an einem Tag. Leute aus der ganzen Welt sagen mir: "Diese CD bedeutet mir etwas." Ein Riesenkompliment. So soll es mir mit allen CDs gehen. Sänger John Mellencamp sagte einmal: "Ein guter Song ist es dann, wenn die Leute dabei sagen, sie hören nicht dich, sondern sich." Das bedeutet, an universellen Sachen zu rühren. Das will ich. - Wahrscheinlich habe ich somit tatsächlich die Gegensätze meiner Eltern ausbalanciert und beide Seiten in mir vereint.
intimacy-art: Sind Ihre Eltern noch zusammen?
REGEN: Nein, nicht im geringsten.
intimacy-art (lacht): Ich hätte mir jetzt gewünscht, der Gegensatz wäre so interessant für beide gewesen, dass es halten konnte.
REGEN: Nein, "sie" haben es nicht geschafft.
intimacy-art: Und Ihre Ehefrau war eine Opernsängerin.
REGEN: Eine französische Opernsängerin, ja.
intimacy-art: Sie haben sie aber nicht kennen gelernt, als Kyle Eastwood seine Frau in Paris traf, deren Ehe auch....
REGEN: ... vorbei ist. Ich kenne Kyle Eastwoods Frau sehr gut. Ich tourte mit ihm, als sie verheiratet waren. Meine Frau lernte ich aber nicht, als ich mit Kyle tourte, kennen, sondern als ich dort spielte.
intimacy-art: Sie sagten, dass Sie es nicht wirklich lieben zu touren - ...
REGEN: Oh, ich liebe es, zu touren.

Durch Widersprüche zum freien, aber traurig-sensiblen Texter

intimacy-art: In "Only My Credit Card Remembers Where I´ve Been" sagen Sie aber das Gegenteil.
REGEN: Das ist ein Komik-Song darüber, wie du manchmal sprichwörtlich nicht weißt, wo du bist. Doch ich liebe es zu touren. Wenn du gerne Tennis spielst, gibt es auch die Seite daran, wo du am nächsten Tag müde bist. Was mich jung hält, ist, dass ich liebe, was ich mache. Gestern in Rom, heute in Wien, morgen bin ich wieder in Italien - das ist aufregend.
intimacy-art: Aber das ist das Berührende an Ihren Songs, wenn sie wirklich ein wenig traurig werden. Dann denkt man sich, "der ist auch so allein wie ich". Und jetzt sagen Sie das Gegenteil.
REGEN: Vielleicht erkläre ich es nicht gut: Es gibt große Höhen und große Tiefen beim Touren. Billy Joel sagte einmal: "Ich spiele für 50.000 Leute pro Nacht, und nach dem Konzert nehme ich ein Taxi ins Hotel und bin allein: mit mir." Das sind wirklich die Highs und die Lows. Ich bin sehr aufgedreht, wenn ich spiele, und dann bin ich allein im Zug und vermisse meine Freunde, meine Freundin. Im Grunde geht es da um das Managen der verschiedenen Seiten deines Lebens. Ich kenne niemanden, der alles an irgendetwas liebt.
intimacy-art: Hätten Sie dennoch gern ein bißchen mehr Rast-Zeiten?
REGEN: Nein. Es gibt genug Rast. Ich hatte ein paar Tage frei und haßte es.
intimacy-art: Werden Sie da traurig?
REGEN: Ich werde tieftraurig, wenn ich alleine bin, ja. Ich war gerade zwei Wochen alleine auf Tour, Italien solo, nur ich und das Piano, und das ist eine echte Gemütswanderung, die ganze Zeit allein zu sein, an so schönen Orten. Damit komme ich sehr schlecht zurecht. Ich stehe in Rom am Vatikan, sehe all die schönen Sachen und wünschte, es wäre jemand neben mir, mit dem ich darüber reden könnte. Für mich bedeutet etwas mehr, wenn ich es mit jemandem genießen kann.
intimacy-art: O.k., gut.
REGEN: Ich versuche, Ihre Fragen zu beantworten.
intimacy-art: Sie fühlen sich also frei, selbst wenn Sie viel reisen.
REGEN: Ja, sehr. Sehr frei.

Mit allen Frauen Sex haben zu müssen, wäre hart

intimacy-art: Glauben Sie, dass alle Ihre Fans Ihre Musik verstehen und Sie dafür lieben? All die Mädchen, die ich auf "My Space" sah und sich für Sex mit Ihnen anbieten, indem sie Ihnen freizügige Fotos schicken?
REGEN: Mit all diesen Frauen Sex haben zu müssen, wäre hart.
intimacy-art: Kennen Sie die alle?
REGEN: Ich habe keine Ahnung, was das für Leute sind. Aber My Space ist interessant, weil mich dort Leute finden, die dann zu meinen Konzerten kommen.
intimacy-art: Glauben Sie, dass Sie mehr Leute wegen Ihrer Musik lieben oder weil Sie ein Star-Musiker innerhalb der Jazzszene sind bzw. dazu werden?
REGEN: Es gibt immer Leute, die sich für dich interessieren, weil sie meinen, du wärst etwas, das du nicht bist. Ich spiele mit Leuten wie Kyle Eastwood und Jonathan Sanborn, Söhnen von berühmten Leuten. In diesem Umfeld gibt es viele Leute, die dich treffen wollen, weil sie glauben, du seist berühmt. Glücklicherweise bin ich nicht wirklich berühmt und mögen mich die Leute meistens wegen meiner Musik. Aber wenn mich schöne Frauen treffen wollen, ist das immer gut ...
intimacy-art: Sie müssen die aber nicht alle haben.
REGEN: Nein. Naja, drei oder vier.
intimacy-art: Aber nicht parallel.
REGEN: Ja, ja, parallel. Vielleicht parallel.
intimacy-art: Dann darf ich den intimen Liebestexten also nicht glauben, wenn Sie davon singen, eine spezielle Frau zu lieben.
REGEN: Also ich ...
intimacy-art: Können Sie wirklich so tief lieben, wie wir es aus den Texten annehmen würden?
REGEN: Ich liebe wirklich sehr tief. Sehr tief.
intimacy-art: Für längere Zeit?
REGEN: Ich versuche es. Ich versuche es.
intimacy-art (lacht)

In den Projektionen der Frauen liegt das Problem der Liebe

REGEN: Ich meine, Liebe ist sehr kompliziert. Aber vom Herzen her, glaube ich, ist es die größte Sache, sich vorzustellen, dass du mit jemandem durchs Leben gehen könntest.
intimacy-art: Mir kommt irgendwie vor, dass das bei Ihnen nicht zutrifft, denn Sie möchten so viel. Sie sind so in Eile und lieben es auch.
REGEN: In Eile nach was, nach Frauen?
intimacy-art: Nicht nur. Sie wollen ja auch so viele verschiedene Musikrichtungen ausprobieren. Vielleicht sind Sie insgesamt einfach auf dem Weg.
REGEN: Ich sehe es so wie in meinem Song What Am I Supposed To Do From Here: die Leute sagen dir, sie lieben dich wegen deiner selbst, aber meistens lieben sie dich für das, wie sie dich zu werden wünschen. Ich war vor Jahren mit einer Frau zusammen, die sehr frustriert darüber war, wie ich mein Leben bestreite. Sie meinte immer, sie hoffe, ich würde das ab einem bestimmten Alter beenden. Was ich zu tun liebe und mein ganzes Leben wollte, ist zu touren, nachdem mich jemand fragt, "willst du nach Wien kommen, wir bezahlen dich dafür, dass du spielst". Das ist der Konflikt mit einer Frau zuhause, die dich bei sich haben will. Und es ist auch verständlich. Aber wie soll man das schaffen? Ich weiß es nicht.
intimacy-art: Es gibt schon Musiker, deren Frauen Monate lang zuhause warten.
REGEN: Jemand in Italien sagte gerade zu mir: "Eine Freundin ist wie ein Piano. Du hast eines zuhause, aber es gibt eines in jedem Club."
intimacy-art: Ich hoffe, Ihre Fans verzeihen Ihnen das.
REGEN: Das habe ja nicht ich gesagt.
intimacy-art: Es ist also ein Witz.
REGEN: Um ehrlich zu sein: ich führe ein sehr langweiliges Leben. Besonders wenn ich auf Tour singe, bin ich nicht mehr der große Party-Tiger. Ich schlafe, um meine Stimme zu schonen. Und wie ich echt fühle, das sagen meine Lieder. Denn wenn ich schreibe, bin ich viel mehr in mir selbst. Als Songwriter sprichst du mit deinen Liedern, während du versuchst, das Leben, die Liebe auszumachen. Da gibt es viele neue Songs auf meiner CD über Liebe und Niederlagen, und den Versuch, den Weg da durch zu finden.










Zum Anhören der drei Tracks Let It Go, Something To Hold und Close To Me (Featuring Andy Summers) aus Jon Regens neuer CD Let It Go,
gemischt von John Porter, gehen Sie bitte zu: http://www.myspace.com/jonregen






(Interview-Auszug vom 03.02.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

Tuesday, March 13, 2007

Jon Regen 1: "Ich will alles frei entscheiden können und immer besser werden"


Jon Regen (photos © Elfi Oberhuber)


Was ist künstlerische Freiheit für einen Jazzer wie JON REGEN? Schließt sie das Bedürfnis nach privater Freiheit mit ein? - Oder läßt sich beides gar mit "Popularität" vereinen? - Eine Diskussion mit ELFI OBERHUBER, die unter gegenwärtigen kulturpolitischen Bedingungen auch für Österreich hoffnungsvoll ist, auch wenn das Problem weder privat, noch musikalisch leicht für den Musikkünstler in Harmonie zu bringen ist.

Kurzprofil JON REGEN (geb. am 8.5.1970 in New Jersey / USA, Sternbild Stier) gilt momentan als "die" Entdeckung New Yorks. Der Pianist, Komponist und Sänger wird „Billy Joel des Souls“ genannt, wobei er das Jazzklavier in überdurchschnittlichem Maß beherrscht. Nach purer Jazz-CD Tel Aviv 2001, zweijähriger Tour mit dem legendären Jazzsänger Jimmy Scott und zuvor Bassist Kyle Eastwood, gründete er sein eigenes Trio mit Drummer Eric Addeo sowie Bassgrandiosum Jonathan Sanborn, Sohn des Saxers David Sanborn. Mit der Stimme eines Schwarzen, berührend-poetischen Texten in rhythmischen Songs sowie pianistischem Können beeindruckt Regen nicht nur Frauen. In der 2004 erschienenen CD Almost Home definiert er die Schnittstelle von Blues, Jazz und Song neu. Im April 2007 erscheint seine neue CD Let It Go, wo er mit den Kapazundern der Szene, Brad Albetta als Produzent, Ex-The Police-Gitarrist Andy Summers, Sängerin Martha Wainwright und Kami Thompson, Schlagzeuger Matt Johnson, Cellistin Julia Kent und Gitarrist Jimmy Vivino zusammen arbeitet. - Wieder ein gänzlich neuer Auftritt, indem er eine weitere Facette seiner Selbst realisiert.

- In welcher Verbindung Jon Regen zu Jazz-Bandleader Kyle Eastwood und dem Underground- Club- Jazz- Genre steht, erfährt man über intimacy: art (www.intimacy-art.com) in REALNEWS / WATCHER (bzw. TIPPS) / Archives: March. Titel: TANZEN AB 30: BEI PEE WEE ELLIS, PRINCE, KYLE EASTWOOD & JON REGEN

- Die Kritik zu Jon Regens Almost Home-Konzert ist zu finden in: intimacy: art (www.intimacy-art.com) in REALNEWS / CRITIC / Archives: February. Titel: MUSIK: ENTDECKUNG JON REGEN AUF "ALMOST HOME"-TOUR IN WIEN



Private u
nd künstlerische Freiheit als Gegensatz

Text (Deutsch-Annäherung zu) - Jon Regens Song
What Am I Supposed To Do From Here/
Was soll ich von hier aus tun?
(in CD: Almost Home, 2004)


intimacy-art: Was ist für Sie "Freiheit"?
JON REGEN: Die Möglichkeit, den eigenen Kurs zu wählen, eigene Entscheidungen zu treffen. Ob nun in der Musik oder im Leben.
intimacy-art: Brauchen Sie diese Freiheit auch privat, um sich wohl zu fühlen?
REGEN: Ich habe zumindest das Bedürfnis, die Grenzen in mir zu erforschen und sie gegebenenfalls niederzureißen. Außerdem möchte ich nirgends hinein geboxt werden. Weder musikalisch, noch in einen Job, von dem die Gesellschaft meint, er entspräche einer normalen Existenz. Musiker geworden, bin ich nur wegen der Musik. Da die Freiheit vor allem dem Jazz innewohnt, muß sie als Lebensstil nun mal mit erforscht werden.
intimacy-art: Mein Eindruck war aufgrund Ihrer Musiktexte in "Almost Home", dass Sie eher eine Schutzzone brauchen. Also eigentlich das Gegenteil von privater Freiheit.
REGEN: Diese Lieder schrieb ich während einer Zeit, als ich mit dem Jazzsänger Jimmy Scott tourte. Ich wollte einerseits das erste Mal lieber zuhause sein, weil ich gerade eine Beziehung eingegangen war, andererseits war ich glücklich darüber, meine Träume des Jazzreisens endlich als bewahrheitet zu erleben. Das war sehr hart.
intimacy-art: Wollen Sie privat genauso frei sein wie als Künstler?- Viele Männer wollen ja intim frei sein, indem sie jede Nähe meiden.
REGEN: Meinen Sie sexuelle oder romantische Freiheit?
intimacy-art: In jeder Hinsicht. Diese Männer haben Sex, aber es ist ein kalter Sex.
REGEN: Nein, nach so einer Freiheit sehne ich mich nicht wirklich. Ich glaube, wir suchen alle nach einer Heimat, nach jemandem, mit dem wir das Leben durchlaufen wollen. Das halte ich für eine schöne Sache.
intimacy-art: Aber in den Momenten, als Sie diese Lieder schrieben, wirken Sie verloren und verlassen. War das so?
REGEN: Diese CD schöpft aus einer sehr herausfordernden Beziehung, wobei einige Songs aus dieser Art von Rollenspiel heraus geschrieben wurden. Aus meiner Vorstellung zu fragen: "Was wäre, wenn diese Beziehung perfekt wäre, sodass ich nach hause kommen wollte?" Tatsächlich war sie sehr schwierig. Der autobiografischste Song ist wohl, What Am I Supposed To Do From Here, den ich an diese Person als Liebesbrief geschrieben habe, der sagt: "Ich weiß nicht, wie ich sein soll, damit ich bin, wie du willst, dass ich bin." Das haben Sie also treffend wahrgenommen. Es ist ein autobiografisch-poetisches Album, worin ich zwischen zwei Orten pendle und um eine Lösung ringe.
intimacy-art: Es ist sicher Ihre persönlichste CD.

Von der Persönlichkeit zur Popularität

REGEN: Gleichzeitig hat sie etwas Leichtes und Frisches, als erste CD mit Liedern, Text und Gesang von mir. Die neue CD wird viel - dunkler nicht, aber - tiefer, indem sie ausforscht, was passiert, wenn alles auseinander fällt, und man sich von dort aus weiter zu bewegen versucht. Lieder-Schreiben ist also eine Reise. Und den Ort, wo ich jetzt bin, empfinde ich als sehr, sehr befriedigend. Weil ich mich dem nähere, wo ich meine eigene Geschichte erzähle.
intimacy-art: Mir kommt das nicht ganz so vor. - Das wollen wir aber aufrollen. - Wie muss das Umfeld sein, dass Sie sich künstlerisch frei fühlen?
REGEN: Ich bin sehr darauf konzentriert, zu entscheiden, was ich spielen will. Selbst im jetzigen Punkt meiner Karriere, wo mich dauernd Leute bitten, bestimmte Lieder und Stile zu spielen.
intimacy-art: Ich habe das Gefühl, Sie wollen in Ihrer neuen CD populärer sein.
REGEN: In negativem Sinne?
intimacy-art: Ohne es zu bewerten. - Wären Sie gerne populärer?
REGEN: Es sollen zumindest mehr Leute meine Musik hören. Im Sinn von Geld und Ruhm möchte ich nicht populärer sein. Als Künstler willst du möglichst viele Menschen berühren. Du machst die Musik nicht für die Familie, deine vier Wände.
intimacy-art: Für mich halten Sie in der Jazz-CD "Tel Aviv" das hohe Niveau in der Musik, also im Klavierspiel, wie in "Almost Home" im persönlichen Touch, insbesondere durch Text und Gesang. "Let It Go" scheint mit Produzent Brad Albetta und The-Police-Gitarrist Andy Summers Popularmusik mit Underground-Flair zu werden, wo sich das Niveau auf mehrere Leute aufteilt.
REGEN: Wir haben alle viele Seiten in uns. Brad Albetta steckte mich jetzt mit der Idee an, meine Lieder und meine Stimme so zu rahmen, dass sie wirklich die CD ausmachen. Und da ich mir dachte, nicht alles selber machen zu können, ich zudem Lust auf Neues hatte, war das für mich ein sehr interessanter Prozeß. Außerdem ist Andy Summers ein Freund von mir, mit dem ich immer spielen wollte. "The Police" war immer schon meine Lieblingsband.
intimacy-art: Sie haben aber eine andere Stimme als Sting. Sie könnten sogar Rock singen. Sie haben eine herbe, männliche Färbung.
REGEN: Hoffentlich. Aber wissen Sie, im Vergleich zu anderen Jazzmusikern, bin ich nicht darin gefangen, die Vergangenheit wieder zu erwecken, indem ich immerzu dieselbe CD "wiederhole". Ich mache lauter verschiedene CDs. Das sollte das Prinzip sein.

Jazz mit der Sensibilität des Pops

intimacy-art: Aber bei "Almost Home" denkt man auch an Billy Joel, vielleicht gemixt mit Jamie Cullum. - Mögen Sie Billy Joel?
REGEN: Ich liebe ihn. - Als amerikanischer Pianist wächst du mit bestimmten Leuten auf, die deine Helden sind. Ich bin ein Kind der 80-er. Mich beschäftigten Billy Joel und Bruce Hornsby, Leute, die wirklich einen eigenen Klang am Piano haben. Ich selbst versuchte immer schon, auch "Jazz" mit der Sensibilität eines Pop-Musikers zu spielen. In der Popmusik hast Du nur ein paar Minuten, um jemanden zu berühren. Beim Jazz spielen die Musiker zwanzig Minuten und sind noch immer nur selbst gefangen. Das stört mich. Ich gehe davon aus, dass die Leute irgendwo hin getragen werden wollen. Die Musik bedeutet für sie so viel wie für mich als Spieler.
intimacy-art: Wahrscheinlich gehen Sie den umgekehrten Weg als Leute wie ich, die zuerst Pop mochten und heute Jazz und Klassik bevorzugen.
REGEN: Ich wuchs mit Liedern auf, dann studierte ich das Piano, wo ich mich zum Jazz hingezogen fühlte. Und fand zurück zu den Liedern. Denn für mich ist ein guter Song zeitlos. Wie Jazz-Standards, sodass die Leute noch My Funny Valentine hören wollen. Das Lied hat ein Leben für sich selbst. Ich wollte ein paar solche Lieder schreiben. Mir geht es um die Melodie, die Message, die Berührung von jemandem, der nicht unbedingt ein Jazz-Freak sein muß, sondern sagt: "Ich weiß nicht, was ich mag; ich weiß nicht, wie ich es nennen soll; aber ich mag, was du machst."
intimacy-art: Vielleicht geht es Ihnen wie mir im Journalismus: Ich möchte in eine Ebene gelangen, wo ich eine bestimmte, intellektuelle Qualität halte, also nicht nur ein Standard-Interview mache, aber gleichzeitig mehr Leute erreiche, als die elitäre Kultur-Gemeinschaft.
REGEN: Sagen wir so: Ich möchte auf höchstem künstlerischem Niveau arbeiten, und gerade deshalb soll die Musik viele Leute anziehen. Ich bin kein Popmusiker, obwohl ich Popmusik liebe. Ich selbst möchte nur immer besser schreiben und spielen. Und jedes Lied und jede CD muß sich vom Vorigen unterscheiden. Auf Let It Go ist einiges jazziger, einiges popiger, einiges sehr produziert und einiges sehr nackt: nur mit mir und dem Piano.

Wie Persönliches persönlich kommt

intimacy-art: Wird der Text wieder persönlich?
REGEN: Noch persönlicher.
intimacy-art: Ich habe zwar nur den Text von "Come Close To Me" gehört, mir aber gedacht, diese Erotikbeschreibung kommt mir vom Pop her bekannt vor.
REGEN: Welches Gefühl wurde denn nicht schon vorher in der Popmusik geäußert?
intimacy-art: Den Text in "Almost Home" finde ich poetischer. Der Neue ist direkter, geht aber Hand in Hand mit dem popigeren Sound.
REGEN: Sie sollten genauer hin hören: Dieser Song wurde sehr spät in der Nacht geschrieben. Es war eine Liebesbekundung an jemanden. Tatsächlich schrieb ich ihn nach einer Periode, wo ich sehr lange Zeit allein gewesen war. Dann kam diese Person, die mich wirklich aufgeweckt hat. Und es geht nicht nur um sexuelle Energie. Da gibt es diese Zeile ...
intimacy-art: ... "Fühlst du, wie nah wir uns heute Nacht sind? Du bist so tief in mir. Ich möchte deinen Atem spüren und habe tausend mal davon geträumt." - Das hat sich jeder schon einmal gedacht.
REGEN: Es ist ein universelles Gefühl.
intimacy-art: Ja, es ist auch nett, dass Sie es sagen. Aber ich habe es nicht so geglaubt, wie die Texte in "Almost Home". Ich hab´s irgendwie konstruiert empfunden. Aber vielleicht irre ich mich.
REGEN: Sie müssen es hören, wenn es heraus kommt.
intimacy-art: Ja. - Sie wurden also nicht populärer, weil sie jetzt verheiratet sind und eine Familie gründen wollen?
REGEN: Nun, ich bin nicht verheiratet. Ich war verheiratet.
intimacy-art: Ah, das ist schon wieder vorbei?!
REGEN: Das dauerte nur sehr kurze Zeit. - Wie war die Frage?
intimacy-art: Werden Sie populärer, um eine Familie gründen und ein sicheres Leben führen zu können?
REGEN: Dass ich deshalb weniger populär sein will?
intimacy-art: Ich dachte: Sie wollen mehr Geld verdienen, um Ihre Familie ernähren zu können.
REGEN: Nein, ich treffe nie Musik-Entscheidungen wegen des Geldes.
intimacy-art: Aber wir wissen doch, dass Jazz-Musiker oft nicht mal genug Geld zum Essen haben.
REGEN (lacht)
intimacy-art: Vielleicht waren Sie ja nie in der Situation ...
REGEN: Haben Sie das Gefühl, dass ich meine Musik wegen des Geldes mache?
intimacy-art: Nein. Aber es sind Lieder, die "gefallen".
REGEN: Nun, Sie haben da ein Lied gehört, das das Poplastigste auf dem Album ist. Die neue CD enthält viele verschiedene Gefühle. Als Songwriter sage ich: Ein Song muß bedient werden. Wenn ein Song eher populär ist, werde ich ihn nicht in ein extra-künstlerisches Setting setzen, nur damit die Leute nicht sagen: "Ah, du mußtest populärer werden!" Und dass ich Andy Summers auf der CD habe, war eine gänzlich künstlerische Entscheidung. Ich ließ ihn machen, was er wollte und sagte: "Spiel, was du hörst und was du fühlst." Ich treffe keine Musikentscheidungen, die auf Geld beruhen. Hoffentlich machst du aber Geld mit der Musik, die du zu machen liebst.

Da dieses Gespräch vor Regens Konzert stattfindet, muß der Singer-Songwriter kurz für einen Toncheck unterbrechen. So tun auch wir das an dieser Stelle.

Im letzten Teil 2 bald auf dieser Site: Wie Jon Regen im Elternhaus den Unterschied zwischen freier und angewandter Kunst mit bekam und welche zwiespältigen Gefühle tatsächlich hinter seinen Liedern stecken.
(Interview-Auszug vom 03.02.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

Sunday, January 07, 2007

"Mich interessiert nicht die Scham, sondern das, wofür Liebe steht", Elke Krystufek 3


Bild: „L’épousée“, 2005 © Elke Krystufek, (dt: Die Geheiratete = Die Angepaßte), Foto: MAK/Georg Mayer, 2006


Letzter Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit der bildenden Künstlerin ELKE KRYSTUFEK über "Scham". Anläßlich ihrer aktuellen Ausstellung Liquid Logic im Wiener MAK. Für die Teile 1+2 und Einführung scroll down.


Wie echt ist Elke Krystufeks Liebe zu Vladimir und Donat?

intimacy-art: Glauben Sie, dass sich das Maß an Schamgefühl eines Künstlers im Laufe der Jahre ändern kann? Auch im Investieren des Körpers bzw. eigener Schamteile, vor allem, wenn das Privat- und Sexualleben mit einem Partner intakt ist, den man wirklich liebt?
KRYSTUFEK: Also, mein größtes Schamgefühl empfinde ich beim Gedanken, in einem Land zu leben, wo der Holocaust so viel an Kultur vernichtet hat. Das halte ich eigentlich für relevanter als die Überlegung, ob man sich jetzt privat oder öffentlich schämt.
intimacy-art: Es ist Ihnen also nie ein Partner begegnet, für den es ein Problem war, dass Sie sich jedem so freizügig zeigen?
KRYSTUFEK: Für mich hat sich diese Frage nie gestellt, weil ich in erster Linie bildende Künstlerin bin. Ob es dabei ein Privatleben gibt oder nicht, war für mich in diesem Ausmaß gar nie relevant.
intimacy-art: Jetzt habe ich in der Ausstellung aber tatsächlich Männer gefunden, die Ihnen besonders viel zu bedeuten scheinen: der Donat und der Vladimir.
KRYSTUFEK: Wer ist Vladimir? (lacht heftig) Den kenne ich nicht.
intimacy-art: Er kommt in einem sehr sehnsüchtig blickenden Selbstporträt von Ihnen im Titel "Dear Vladimir, Love Lolita, 2006", vor.
KRYSTUFEK: In der Zeichnung wird nur Vladimir Nabokov zitiert.
intimacy-art: Und wer ist Donat?
KRYSTUFEK: Donat ist der Kameramann, der die Filmmusik geschrieben hat, der dadurch zu einer der Hauptpersonen des Films wurde. Er bringt im Rahmen dieser MAK-Ausstellung auch seine erste CD heraus: Let me say your name - Donat.
intimacy-art: Ist das Ihr Freund? Man könnte es vom Porträt her annehmen, das Sie von ihm gezeichnet haben. Weil Sie sonst ja meistens nur sich selbst zeichnen.
KRYSTUFEK: Wir kennen uns absolut nur auf beruflicher Ebene.

Elke Krystufeks Panton-Sessel-Assoziation, der einst für Erotikdesign stand: Panton Stuhl (2004) auf Happy Penis, 2006 © Elke Krystufek, Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Natascha Kampusch - Bild von Freiheit und Einsamkeit

intimacy-art: Nun haben Sie die MAK-Ausstellung unter den Begriff "History" gestellt, wobei Sie mit Ihren Werken mit Verführung, Lust, Erotik und Zärtlichkeit den Rahmen bilden: Ihre (Selbst)porträts stellen Sie dabei mit dem Kunstbegriff in Zusammenhang. Das besetzen Sie aber auch mit Widersprüchen wie "Natascha und die Freiheit", was den Betrachter in diesem Rahmen auch "Kunst und die Freiheit" assoziieren läßt -...
KRYSTUFEK: Natascha Kampusch und Freiheit haben ja nicht viel gemeinsam. Dahinter liegt die Idee, niemanden einsperren zu dürfen.
intimacy-art: Genau. Sie haben es aber unter diesen Kunstgeschichte-Titel gesetzt.
KRYSTUFEK: Es gibt da den Zeitungstitel Natascha und die Idee von Freiheit (Natascha the odd idea of freedom), aber als Reflexion darüber, dass ihr Peiniger sie eingesperrt hat. Seine Idee von Freiheit bzw. freiem Leben war ja offensichtlich, jemanden einzusperren.
intimacy-art: Ich hätte mir eher gedacht, dass Sie, nachdem Natascha geflohen ist, infragestellen, ob sie jetzt frei ist?
KRYSTUFEK: Jetzt ist sie schon endlich frei.
intimacy-art: Das sehen Sie ausnahmsweise also einmal wirklich konkret wie im Leben. Mich verleitete es daran zu denken, dass man als Mensch sowieso nie frei ist, und da das im Kunstzusammenhang hängt, dass man in der Kunst eventuell auch nie frei ist.
KRYSTUFEK: Nein, es ging wirklich um diesen konkreten Fall, der mich anfangs sehr interessierte, bevor er so sehr zur Mediengeschichte wurde, dass ich ihn nicht mehr verfolgt habe. Von dieser Geschichte hatten sich offensichtlich viele Frauen angesprochen gefühlt, die vielleicht auch durch ein zu hohes Maß an Kontrolle geprägt sind. Es interessierte mich aber auch die Einsamkeit, die einen Menschen dazu treibt, einen anderen für sich einzusperren.

Elke-Krystufek-Haltung: für die MAK-Ausstellung bei einem Stuhl von Raimund Abraham: Liquid Logic + Raimund Abraham © Elke Krystufek/MAK, Liquid Logic, 2006, Foto: Georg Schwarz

Kunst- und Privatliebe - zwei zu trennende Lieben

intimacy-art: Sie setzen sich selbst nun als Rahmen um diese großen Werke herum, als würden Sie sich in gewisser Weise schon jetzt ein eigenes Denkmal setzen. Als größte Liebe, als größtes Ziel. Im Verhältnis zu den weniger präsenten, realen geschriebenen Liebeswünschen wie "I just was waiting - who waits wins - die Herzspinne", dominieren Ihre Liebesbezüge zur Kunst wie zu Jackson Pollock.
KRYSTUFEK: Bei ihm geht es mir um den orgasm, in Wahrheit aber sehr stark um Sprachspiele. Das kann man nun nicht eins zu eins lesen. In der Ausstellung gibt es sehr viele Spiele der Sprache mit sich selbst. Ein Teil meiner Sprache kommt sehr stark aus der Popkultur, der andere aus der Literatur oder Kunstgeschichte. Und diese verschiedenen Sprachen spielen miteinander.
intimacy-art: Aber sehen Sie, jetzt muß ich Sie halt direkt fragen, letztenendes die Kunst als Ihre große Liebe an? Weil man darin Ihre ganze Persönlichkeit ehrlich ausgedrückt sieht?
KRYSTUFEK: Kunst ist ein Bedeutungssystem, sie ist selbst eine Sprache. Sprachen sind weder ehrlich, noch unehrlich.
intimacy-art: Aber Ihr Ansatz, sich dem zu stellen, kommt wohl aus einem ehrlichen Impuls heraus?
KRYSTUFEK: Ich weiß nicht, ob Ehrlichkeit wirklich ein künstlerisches Kriterium ist. Es geht darum, Zeichen herzustellen, Zeichen infrage zu stellen, in dem Fall, Designobjekte wie den Panton-Sessel, der einst für eine bestimmte Form von Erotik und Design stand, neu zu definieren, oder das Swastika-Symbol mit etwas Unvereinbarem wie Minori in einem Raum zusammen zu zeigen, und damit Behauptungen aufzustellen, dass wir uns vom Ausmaß der Gewalt in diesem engeren Kulturkreis entfernt haben, weil es jetzt möglich ist, Themen zu diskutieren.
intimacy-art: Dann kann man bei Ihnen wahrscheinlich nicht sagen, wie Sie die Pole Liebe, Scham und Kunst setzen? Vielleicht kann man das als Künstler selbst auch gar nicht sagen. - Konkret: Ist Ihnen private Liebe genauso wichtig wie Liebe zur Kunst?
KRYSTUFEK: Das sind Fragen, die ich mir so nicht stellen würde.
intimacy-art: Sie leben es einfach.
KRYSTUFEK: Mich interessiert Liebe als Transzendenz in der Ausstellung, das, wofür Liebe steht. Im Zusammenhang mit der Ehe interessiert mich das als Künstlerin schon vor allem kulturhistorisch.
intimacy-art: Genau, das mit der Ehe fand ich ja auch interessant. Sie haben geschrieben, "Next time, I will say yes". Das steht aber wieder im direkten Bezug zur Kunst. Oder ist das privat gemeint?
KRYSTUFEK: Nichts, was in dieser Ausstellung ist,...
intimacy-art: ...ist privat gemeint. (zusammen gesagt) lacht
KRYSTUFEK: ... ist privat gemeint. (zusammen gesagt) lacht ... Die ganze Ausstellung ist history, bezieht sich also auf die Kunstgeschichte, konkret die historischen Designobjekte des MAK, mit denen ich mich mit meiner Kunst auseinandersetze.


Magic Places, 2005 © Elke Krystufek, Foto: MAK/Georg Mayer, 2006, ist eines der Werke, worin Elke Krystufek ihre wahre Sehnsucht nach echter Liebe zeigt. Selbst wenn darauf fast unmerklich der Satz "The Libido in the Gaze" (Der Trieb in erstarrtem Blick) das Ganze wieder in coole Ironie setzt.

(Interview-Auszug vom 5.12.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

Tuesday, January 02, 2007

"Ob ich die Scham eines anderen verletze, kann niemand beantworten", Elke Krystufek 2


Bild: Mrs. Wiener Werkstätte, 2006 © Elke Krystufek
Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Zweiter Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit der bildenden Künstlerin ELKE KRYSTUFEK über "Scham". Anläßlich ihrer aktuellen Ausstellung Liquid Logic im Wiener MAK. Für Teil 1 und Einführung scroll down.

Menschen schämen sich wie Tiere (nicht)

intimacy-art: Jetzt ist es vom Defintionsbegriff her so, dass die Scham erst dann entsteht, wenn der Mensch - bzw. auch das Tier, das Kind - ein Gegenüber als Gegenüber wahrnimmt. D.h., wenn das Kind merkt: Das ist der Andere, und das bin ich, fängt es an, sich zu schämen. In dieser Hinsicht trägt Scham zur Selbstfindung und letztendlich zur Sozietät bei. Sehen Sie das auch so?
KRYSTUFEK: Ich glaube, dass bei Kindern Scham anerzogen wird. Angesicht von Tieren empfinden wir nicht unbedingt Scham. Sonst würde niemand nackt baden gehen.
intimacy-art: Tiere empfinden aber gegenüber dem Menschen bzw. anderen Tieren Scham. Wenn sie aufs Klo gehen, zum Beispiel die Katzen.
KRYSTUFEK: Hunde nicht unbedingt. (lacht)
intimacy-art: In dem Fall hätte Scham mehr mit Angst zu tun, dem Wunschbild des anderen nicht zu entsprechen.
KRYSTUFEK: Scham hat sehr viel mit Erziehung zu tun und hat natürlich eine gesellschaftliche Funktion: weil Sexualität reglementiert sein muß, einfach, um die Aufzucht von Kindern zu gewährleisten. Gäbe es so etwas wie die Schamgrenzen nicht, wäre das Ausmaß von Sexualität wahrscheinlich so groß, dass es niemand mehr bewältigen könnte.
intimacy-art: Otto Mühl hat mit Berufung auf Sigmund Freud versucht, die Scham als für eine kultiverte Gesellschaft unstattgemäß zu verneinen. Er ist aber an seinen Machtansprüchen gescheitert. Andererseits gibt es den Beweis, dass eine Zweierbeziehung länger hält, wenn beide in ihrem Maß an Scham übereinstimmen. D.h., Schamgefühl bindet auch, wäre daher objektiv gesehen konstruktiv. Braucht es Scham also für privaten und öffentlichen Halt?
KRYSTUFEK: Es braucht Scham sicher, damit Staatsysteme funktionieren. So wie ein Staat als politisches System funktioniert, ist es notwendig, bestimmte Formen von Hierarchien zu erzeugen. Das drückt sich auch stark über Kleidung aus. Nicht aus Zufall tragen fast alle Politiker Anzüge. Oder in gewissen Restaurants besteht immer noch Krawattenpflicht. Scham läuft also nicht nur über Nacktheit, sondern auch über Kleidung und das Demonstrieren von Wohlstand.
intimacy-art: Das Schamgefühl führt damit aber auch zum eigenen Bewußtsein von Identität. Sie haben wahrscheinlichh ein anderes Schamgefühl als ich es habe, sowie jeder von uns eine eigene Identität hat. Damit wären wir beim Künstler und seiner Identität. Es heißt: man muß Identität respektieren. Jetzt haben Sie sich in dieser Ausstellung dreier großer Themen bzw. Figuren angenommen: Bas Jan Aders, des Volkes Rapa Nui und Margarete Schütte-Lihotzkys. - Verletzen Sie durch Ihre Aneignung von ihnen deren Identität, und damit die Scham dieser Künstler?

In Farbe steht das Sujet einmal für sich allein: Farewell to I'm too sad to tell you, 2005 © Elke Krystufek, Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Als Zeichnung mit Titel The BLue Boy, 2006 bildet es andererseits den Hintergrund zum Detail der "Affengrimassen"-Sitzbank von Ferdinand Andri, 1902, aus der MAK-Sammlung (MAK-Ausstellungsansicht/Exhibition View Elke Krystufek. LIQUID LOGIC, MAK 2006, Foto: Christian Saupper/MAK, 2006)


Elke Krystufek verletzt die Scham Bas Jan Aders

KRYSTUFEK: Es stellt sich sicher die Frage, ob ich die Scham von Bas Jan Ader verletze, indem ich Arbeiten von ihm in Form von Malerei reproduziert habe und auf meine Weise wiederaufleben lasse. Andererseits kann das aber auch niemand beantworten.
intimacy-art: Ansonsten haben Sie die Kunst nicht angerührt, sondern rundum Ihre Kunst dazu assoziiert?
KRYSTUFEK: Um die Sammlungsobjekte des MAK, ja. Ich verletzte vielleicht nur die Ordnungsprinzipien der KustodInnen, bei Einzelnen möglicherweise sogar ein Schamgefühl. Andererseits wird in diesem Haus schon so lange Gegenwartskunst gezeigt, dass meine Kunst in diesem Zusammenhang jetzt auch nicht so ungewöhnlich ist.
intimacy-art: Außerdem haben Sie sich eingehend informiert, was für ernsthaften Umgang zeugt.
KRYSTUFEK: Ja. Denn mein Interesse war es, ein Feedback zu bekommen. Ich bat explizit drei KustodInnen um Texte, Ostasien-Islam-Kustode Johannes Wieninger um einen Text über das Swastika-Symbol, Metall-Wiener Werkstätte-Kustodin Elisabeth Schmuttermeier um einen Text über das Symbol des Eherings in der Sammlung und Möbel-Holzarbeiten-Kustode Sebastian Hackenschmidt um einen Text über die Wiener Küche im Verhältnis zur Frankfurter Küche. Am meisten interessierte mich aber, welche Art von Dialog möglich sein würde: zwischen bildender Kunst und Kustoden, bzw. ob es diesen Dialog überhaupt geben kann. Und ich glaube, in dem Moment, wo man einen Dialog in Gang setzt, ändert sich auch so etwas wie Scham. Scham war also nie das Hauptthema, sondern "Sammeln und Verschwinden".
intimacy-art: Und was bedeutet der Titel "Liquid Logic"?
KRYSTUFEK: Der Titel kommt aus der Architektur-Theorie und stammt aus einem Buch von Peter Weibel und Georg Flachbart, wo es darum geht, wieviele Prozesse von Computern, in meinem Fall auch vom menschlichen Gehirn, ohne bewußtes Nachdenken bewältigt werden können. Bzw.: wieviele Prozesse automatisiert werden, um entweder komplexere Architektur zu erzeugen oder auch komplexere Ausstellungen auf die Beine zu stellen.

Elke Krystufek mit Phallusnase: Vaginanose (Max Raphael revisited), 2006 © Elke Krystufek
Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Lesen Sie in Teil 3 demnächst auf dieser Site: Die echte Liebe der Elke Krystufek
(Interview-Auszug vom 5.12.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)