Saturday, November 18, 2006

"Ich weiß, dass ich Musik nicht verstehe, aber ich brauche dafür Zeit", David Harrington (Kronos Quartet),3


Kronos Quartet-Bandleader DAVID HARRINGTON im letzten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER. Die Gesprächsphilosophie über die Zeit und Minimalmusik endet in einem traurigen Schicksalsschlag, der den Violonisten zur Erkenntnis von "wahrer Musik" brachte.
Für Teile 1+2 scroll down.

photo: David Harrington (© Elfi Oberhuber)


intimacy-art: Ich finde in allen Ihren CDs trotz Ihrer Vielfalt entweder einschlägige oder zumindest Passagen von Minimalismus-Musik. Sie scheinen eine persönliche, enge Beziehung zu diesem Musikstil zu haben.
HARRINGTON: Wir haben so viele Musikformen gespielt und jeder von ihnen fühle ich mich sehr nahe. Ob tatsächlich überall Minimalismus zu finden ist, hängt davon ab, was unter dem Begriff verstanden wird. Bei Alfred Schnittke gibt es karge, sehr nackte Momente in der Musik. ­ - Ist das nun Minimal-Musik? ­ Also, ich weiß nicht ...

Von der melancholischen Lust zum echten, bitteren Klang

intimacy-art: Vielleicht ist es nur diese melancholische Gefühlsanlage in Ihnen, warum Sie wiederholt zu entrückenden Ausdrucksformen von Musik greifen. Schon das erste Stück, das Sie so sehr anzog, dass Sie überhaupt Ihr eigenes Quartet gründeten, war mit George Crumbs ...
HARRINGTON: “Black Angels.
intimacy-art: ... ein Werk, das mit der Schönheit des Schmerzes in der Musik arbeitet. Ich behaupte also, dass Sie das stark anzieht. Zumindest hat es das lange. Nun mußten Sie in den späten 1990-ern aber eine sehr bittere Erfahrung hinnehmen: Sie verloren Ihren Sohn, als er erst 16 Jahre alt war. Verändert so eine reale Erfahrung die Lust, sich nach traurigen Momenten in der Musik, in der Fantasie, zu sehnen?
HARRINGTON (überlegt lange): Nun, “Black Angels zu hören, veränderte tatsächlich mein Leben. Und die letzten Jahre verbrachte ich andauernd damit, die richtige Musik zu finden, um mich ausgeglichen zu fühlen. Als ich Black Angels 1973, zur Zeit des Vietnam-Krieges, hörte, war ich ein junger, amerikanischer Musiker, der versuchte, irgendwo den Sinn des Lebens heraus zu filtern. Und alles, was ich aus dieser Musik heraus hörte, machte als Antwort auf den Krieg Sinn. Als nun mir und meiner Familie diese Tragödie passierte und unser Sohn starb .... (lange Pause)...., da war in mir für lange Zeit überhaupt keine Musik mehr. Ich wußte auch nicht, ob ich wieder Musiker sein könnte. Langsam kam sie zurück. Sie war aber verändert. Mein Gehörsinn, meine Sinneswahrnehmung für das, was echt und ehrlich ist, wuchs um Vieles an. Ich fühle auf eine wirklich persönliche Weise, dass diese Tragödie jede Minute in mir ist, und ganz akut, wenn mir Musik begegnet, die für mich Sinn macht.
intimacy-art: Haben Sie noch andere Kinder?
HARRINGTON: “Ja, schon, auch Enkelkinder, aber .... (Pause)
intimacy-art: Denken Sie, dass es für all unser Schicksal Gründe gibt? Terry Rileys Multimedia-Live-Projekt Sun Rings in Ihrem Repertoire fragt ja nach dem "warum?" der menschlichen Existenz. Er selbst sagt: "Der Weltraum ist das Reich der Träume und der Vorstellungskraft und ein fruchtbarer Boden für Poeten und Musiker. Alte Astrologen waren sich der Einflüsse der planetaren Bewegungen auf unser Leben bewußt." - Sind unsere Anlagen vorgegeben?
HARRINGTON: Warum wir hier sind und warum wir Körper haben, Finger und Ohren ­ - diese Dinge liegen jenseits unseres Verständis-Vermögens, dafür sind unsere Gehirne zu klein. Ich glaube aber: Alles hat Auswirkungen auf alles. Gehen Sie auf bestimmte Weise durch dieses Zimmer, verändern Sie entsprechend die Luft. Und machen wir die Türe auf, dann verändert sie sich auch draußen. Alles beeinflußt alles. Und es gibt keine Möglichkeit, dem zu entrinnen.
intimacy-art: Wenn wir auf Ihre bisherige Lebensleistung schauen ­ - Sie haben die Welt um hunderte neue Komponisten, Werke und brillante Interpretationen bereichert - ...
Harrington deutet auf die Uhr, da die Zeit um ist.
intimacy-art: ... wenn Sie zurück schauen, was würden Sie sich dennoch wünschen, nicht passiert zu sein?
HARRINGTON: Ich wünsche mir ununterbrochen, mein Sohn würde noch leben. Ständig.

Als sich David Harrington und die Interviewerin aufrichten, neigt sein Kopf in Richtung seines aufgeklappten Geigenkastens. Sie folgt seinem Blick: Auf der Innenseite sind Familienfotos aufgeklebt. Ein Bild könnte von seinem verstorbenen Sohn sein. Ein Gefühl sagt ihr, jetzt lieber zu schweigen... Doch als David Harrington abends Peteris Vasks Solo Streichquartet Nr. 5. spielt, scheint es, als würde ein wissendes Band des Schmerzes zwischen ihr und ihm gezogen. Er spielt so leidenschaftlich traurig, mit so großer Wehmut, dass ihr klar ist, an wen er dabei denkt. Ein Pathos vom grausamen Leben, wo Zeit keine Wunden mehr heilen kann. Und doch wird es so für Spieler und Zuhörer: echt... und unvergeßlich.

(Interview-Auszug vom 18.5.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

Monday, November 13, 2006

"Ich weiß, dass ich Musik nicht verstehe, aber ich brauche dafür Zeit", David Harrington (Kronos Quartet), 2








Kronos Quartet-Bandleader DAVID HARRINGTON im zweiten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER. Eine Philosophie über die Zeit, die sich anfühlt wie Kronos-Musik. Vor dem ergreifenden Finale aber noch die Debatte über "Minimalmusik", die zuhauf im Kronos-Repertoire zu finden ist.

photo: David Harrington (© Elfi Oberhuber)


Von der Nicht-Existenz der Minimalismus-Musik


intimacy-art: Hat Minimalismus eine spezielle Art, mit Zeit umzugehen? Technisch und in der Art, die Wahrnehmung des Interpreten und des Publikums zu berühren?
HARRINGTON: Interessantweise sagte jemand wie Terry Riley einmal: “Während Musikwissenschaftler den Begriff “Minimalismus" definierten, um meine Musik zu benennen, schrieb ich schon ganz etwas anderes." Auch ich glaube nicht an funktionierende Musikdefinitionen. Bei Terry Riley, Steve Reich und jedem anderen so genannten “Minimalisten", denke ich nur an deren Persönlichkeit: Wie es ist, mit ihnen zusammen zu sein, ihre Musik zu spielen, mit ihnen zu proben, mit ihnen zu sprechen.
intimacy-art: Der Zuhörer verliert dabei dennoch generell schnell die realistische Wahrnehmung. Die monotonen Wiederholungen gehorchen einer anderen Logik. Führt diese Zeit-Dehnung bzw. -Rhythmisierung, nicht automatisch in eine optische, surreale Dimension? Schon da oft das “Horror-Genre" damit unterlegt wird. Sie selbst habe Dracula mit Philip Glass vertont.
HARRINGTON: Aber die Qualität von jeder Musik ist doch Wiederholung, Variation, Wechsel. Sicher, manche Stücke wurden Minimalismus-Stücke genannt, wie Terry Rileys In C, das nur aus Basis-Elementen zu bestehen scheint und während eines langen Zeitabschnitts eher langsam wechselt. So bekommt der Hörer das Gefühl, er würde einen bestimmten Raum bewohnen. Aber ich glaube dennoch, dass das bei vielen Arten von Musik geschieht. Es wird lediglich der Minimalismus-Musik zugeschrieben. Das passiert aber auch bei Schubert, bei Mahler!
intimacy-art: Sicher, man könnte auch Alban Berg für “Horror" nehmen: das Atonale, Verunsichernde.
HARRINGTON: Filmmusik bedient grundsätzlich Klischees. Doch sie sucht und definiert auch neue Wege des Ausdrucks, sodass man sie irgendwann automatisch als Schreckensmusik oder als romantische Musik empfindet.
intimacy-art: Ist es Ihrer Ansicht nach also nur eine Konnotationssache: Die Leute lernen und gewöhnen sich daran, ein spezielles Gefühl bei einer bestimmten Musik zu haben?
HARRINGTON: Nun, es gäbe keine Hollywood-Musik ohne Gustav Mahler.
intimacy-art: Dennoch finde ich in allen Ihren CDs trotz Ihrer Vielfalt entweder einschlägige oder zumindest Passagen von Minimalismus-Musik. Sie scheinen eine enge persönliche Beziehung zu diesem Musikstil zu haben?
HARRINGTON: Wir haben so viele Musikformen gespielt und jeder von Ihnen fühle ich mich sehr nahe. Ob tatsächlich überall Minimalismus zu finden ist, hängt davon ab, was unter dem Begriff verstanden wird. Bei Alfred Schnittke gibt es karge, sehr nackte Momente in der Musik - ist das nun Minimal-Musik? Also, ich weiß nicht ...

Lesen Sie in Teil 3 des Interviews demnächst auf dieser Site: David Harringtons wunder Punkt seines Lebens und Schaffens.
(Interview-Auszug vom 18.5.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)