Tuesday, May 17, 2011

Jon Regen 2: "Oft hat jemand Fremder etwas sehr Tiefes mit dir gemeinsam"


Singersongwriter-Pianist Jon Regen und Schlagzeuger John Miller (photo © Elfi Oberhuber)

Warum reist der amerikanische Musiker JON REGEN so gerne nach Europa, um Live-Konzerte zu geben? Holen ihn seine europäisch-jüdischen Wurzeln ein? Oder ist das einfach nur Zufall, bei der Suche nach einem Markt, der noch außergewöhnlich gute Musik spielt und hören möchte? - Zweiter Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER. Für Einführung click Teil 1.


Vom amerikanischen zum europäischen Traum

intimacy-art: Sind die Bedingungen für einen Musiker in Europa und Amerika unterschiedlich?
REGEN: Ja, da gibt es einen sehr großen Unterschied. In Europa ist, glaube ich, die Musik die Show. Die Leute begeistern sich wegen der Musik. In Amerika tun sie das viel mehr wegen des Hypes, der aufgesetzten Geschichte, wegen des Happenings.
intimacy-art: So wie der Life Ball. (lacht)
REGEN: Der Life Ball ist etwas sehr Spezielles. - Genau aus diesem Grund arbeite ich ja die meiste Zeit in Europa. Die Leute mögen meine Musik und machen sich auf, um sie zu hören. In Amerika ist es viel härter, überhaupt bemerkt zu werden. Für die Werbung um die Leute mußt du sehr viel mehr Zeit investieren als du dann Zeit für die eigentliche Musikshow hast. Ich empfinde es als größere Anerkennung, für Musik-interessierte Menschen zu spielen. Und da das im Moment eher in Europa zutrifft, scheint das jetzt mein Markt zu sein.
intimacy-art: Ich halte das My-Space-Phänomen für einen Spiegel dessen, was Sie da sagen. Die Musiker müssen aktiv versuchen, mehr hörende Freunde zu bekommen und kommen aus der permanenten Akquisition gar nicht mehr heraus. Ein - amerikanischer wie europäischer - Musiker kann zwar froh sein, dass so etwas unter den gegebenen, massenmedial eindimensionalen Umständen existiert, andererseits ist es aber auch eine stressige Angelegenheit, nicht?
REGEN: My Space war sehr gut für mich, weil es einfach noch ein Platz war, um den Leuten meine Musik näher zu bringen. Es ist momentan für Musik-an-sich sehr hart, eine Vorführmöglichkeit zu bekommen, weil die unter vielen medialen Einflüssen stehenden Menschen kaum noch Zeit dafür haben. Wobei keiner mehr eine ganze CD anhört.
intimacy-art: Finden Sie? Ich höre mir im Internet gerade eine Minute etwas an, dann kaufe ich mir die CD und höre mir alles an.
REGEN: Da sind Sie bestimmt die Ausnahme. - Man muss also über jeden Platz froh sein, wo man seine Musik spielen kann, um Leute dafür gewinnen zu können. Wenn das aber die ganze Zeit beansprucht, wird es wahrscheinlich zum Problem. Andererseits haben Bands in der ganzen Musikgeschichte Posters aufgestellt. In diesem Sinne ist das einfach eine neue Technologie.
intimacy-art: Welchem Land fühlen Sie sich in Europa am nächsten?
REGEN: Ich habe kein Lieblingsland, verbringe aber viel Zeit in London, also England, Deutschland, Italien und Österreich. Die Leute sind hier sehr warmherzig und hören einfühlsam zu. Sie wollen in Deinen Kopf hinein und Deine Musik verstehen. Es ist ja schon gut für einen Künstler, wenn die Leute überhaupt reagieren und nur eine spontane Reaktion auf die Musikatmosphäre abgeben. Wenn dann noch etwas darüberhinaus zurück kommt, ist das großartig.


Jüdisch-europäische Wurzeln. Na und? Oder eben deshalb?


intimacy-art: Sind Sie jüdischer Herkunft?
REGEN: Ja, und zwar vaterseits österreichisch-ungarisch - aus der Zeit der Österreich-Ungarn-Monarchie - und mutterseits deutsch-russisch. Wo die Vorfahren genau lebten, weiß ich nicht genau, weil darüber niemand gesprochen zu haben scheint. Meine Großeltern waren bereits alle Amerikaner.
intimacy-art: Die Vorfahren gingen also um 1900 nach Amerika, nicht wegen des Zweiten Weltkriegs?
REGEN: Nein, obschon ich Verwandte hatte, die bedauerlicherweise zu dieser Zeit hier waren.
intimacy-art: Wissen Sie, zu welchem der zwölf israelitischen Stämme Sie gehören?
REGEN: Nein, das habe ich bisher nicht heraus gefunden. Entschuldigung.
intimacy-art: Demnach leben Sie nicht nach jüdischen Ritualen?
REGEN: Nein. Ich bin wohl stolz über meine familiäre Herkunft, fühle mich aber im Trennen von Menschen nicht sehr wohl, nach dem Muster, "du bist jüdisch, du bist katholisch, ..." Das ist etwas, das der Mensch macht und nicht der Geist.
intimacy-art: Gibt es in Amerika aber so etwas wie ein emotionales Band zwischen den Leuten, wenn sie von einander wissen, dass sie jüdischer Herkunft sind? Weil man ja sagt, dass sich die Juden gegenseitig helfen und deshalb in weltweiter Verbindung so stark sind - auch im intellektuellen Zusammenhang.
REGEN: Für mich sind wir alle dieselben, ob schwarz, chinesisch, jüdisch, buddhistisch, ... Ich bin stolz auf meine Eltern, weiß aber nicht, ob sie der Umstand, dass sie beide jüdisch sind, zusammen gebracht hat.
intimacy-art: Glauben Sie von sich selbst, dass Sie so etwas wie ein jüdisches Temperament haben? - Denn, wenn ich Sie spielen sehe, spüre ich, dass Sie so etwas haben: Sie spielen mit dem Inneren Ihres Körpers und nicht aus dem Kopf.
REGEN: Da, glaube ich, bin ich ein New Yorker. Das kommt nicht vom Judentum. Ich habe dem als Kind auch keine Achtung geschenkt, ob ich jüdisch bin. Obwohl ich mich anders fühlte im Gegensatz zu den Leuten rundum, die nicht jüdisch waren. Ich denke, Billy Joel ist jüdisch, und er ist ein Österreicher.
intimacy-art: Er schaut Ihnen ja auch optisch ähnlich.
REGEN: Ich denke aber echt, dass die New Yorker Energie mich so beeinflußt hat. Außerdem ist mein Vater ein Schreiber (Anm. Red.: er war ein erfolgreicher Werbetexter), meine Mutter eine Fotografin ...
intimacy-art: Aber Sie sind in New Jersey aufgewachsen, und da strömt eine andere Energie.
REGEN: Nun, abgesehen davon, dass ich mich gerade frage, ob das zu sehr in die 2. Weltkrieg-Debatte fällt, wenn wir darüber reden, wie intellektuell Juden sind. - Vielleicht hat es ja wirklich einen Einfluß, ich habe es nicht ausgeforscht. Ich bin jedenfalls ein Produkt meiner Umgebung und meiner Geschichte. Das könnte also sein.
intimacy-art: Ich möchte darüber sprechen, weil der amerikanische Nobelpreisträger und Hirnforscher Erich Kandel, gebürtig als Jude in Wien und im 2. Weltkrieg mit seinen Eltern emigriert, sehr wohl (demnächst auf intimacy: art) über die Eigenheit des Judentums spricht.
REGEN: Das ist schon interessant: denn wenn du als Jude in Amerika aufwächst, wurde Leuten meiner Generation immer gesagt, "du solltest nicht nach Deutschland, nicht nach Österreich gehen, denn da ... ba ba ba ...". Und dann finde ich hier eine Region vor, die mehr als andere Orte der Welt, wo man schreckliche Dinge verbrochen hat, nicht vom eigenen Schrecken davonrennt, sondern mehr Integration von anderen Kulturen, Rassen und Juden ... als jene anderen Orte betreibt, sich dem stellend, was vor vielen Jahren hier geschah. Das ist ein echter Versuch zu sagen, "wir können davor nicht davonrennen". Und es eröffnet auch bemerkenswerte Diskussionen in der Kunst, so etwas wie den Life Ball ... Es macht mir echt Freude, hierher zu kommen.


Wenn Europäer ihr Glück in den USA versuchen


intimacy-art: Kennen Sie umgekehrt österreichische Musiker in den Staaten?
REGEN: Joe Zawinul. Wen sollte ich noch kennen?
intimacy-art: Thomas Lang ist ein Schlagzeuger (siehe Interview mit Musiker Peter Paul Skrepek auf intimacy: art); er macht eher Rock.
REGEN: Den Namen kenne ich, ja.
intimacy-art: Er spielte mit Falco.
REGEN: Falco, ah gut.
intimacy-art: Dann war Wolfgang Muthspiel lange in Amerika.
REGEN: Oh, natürlich, ja.
intimacy-art: Nun eine ironische Frage: Mußten Sie die Europäische Gewerkschaft um Erlaubnis fragen, damit Sie hier in Österreich spielen dürfen?
REGEN: Welche Gewerkschaft, die hier?
intimacy-art: Die Frage kommt eigentlich von einem Wiener Musiker, der bei der amerikanischen Gewerkschaft um Erlaubnis fragen mußte, ob er in den Staaten spielen darf. - In Amerika muss man angeblich ja überhaupt Mitglied sein, um auftreten zu können und als Musiker anerkannt zu sein.
REGEN: Du mußt nicht, nein, höchstens, wenn du an bestimmten Orten spielen willst.
intimacy-art: Eben.
REGEN: Ich war ein Mitglied der Gewerkschaft, momentan bin ich es nicht, weil ich nicht mehr zahle. Ich habe über Jahre hinweg gezahlt, hatte aber nicht das Gefühl, dass man dort irgendetwas für mich tut.
intimacy-art: Und meine letzte Frage zum kontinentalen Gegenverhältnis: Mußten Sie Ihren Fingerabdruck am Zoll hinterlassen, um nach Europa reisen zu können?
REGEN: Wenn du nach Amerika einreist, mußt du das.
intimacy-art: Eben ...
REGEN: ... und momentan hab ich nicht mal einen Paß.
intimacy-art: Ja, weil man ihn Ihnen ja mitsamt der Geldtasche gestohlen hat (siehe Gespräch Teil 1)...


Von der genetischen zur musikalischen Heimat


intimacy-art: Was definieren Sie in Ihrem tiefsten Herzen als Heimat, sowohl in lokaler als auch musikalischer Hinsicht?
REGEN: Meine Heimat ist da, wo meine Familie und diejenigen, die mir nahe sind, leben: in der New Yorker Gegend. Und auf tieferer Ebene würde ich auch sagen, dass ich mich meiner amerikanischen Wurzeln besinne, selbst wenn ich ganz gern herausfinden würde, wo ich von der Gene her abstamme, um möglicherweise ein paar interessante Fragen beantwortet zu bekommen.
intimacy-art: Ich denke mir auch mit der Öffnung der EU in den Osten, wo immer mehr fremde Leute ins Land kommen, dass umso mehr Leute wie ich nach eigener Identität suchen. Und da muss man wirklich sehr genau suchen, um jemand zu finden, der dir sehr ähnlich ist. Sind Sie mehr angezogen von Menschen, die Ihnen ähnlich oder fremd sind?
REGEN: Oft hat ein sehr fremder Mensch etwas sehr Tiefes mit Dir gemeinsam. Ich mag Musiker und Leute, die mit einer gewissen Intensivität leben und in der Lage sind, darüber zu reden, wie sie fühlen. Ich kann nicht nicht über meine Gefühle reden. Das suche ich in Menschen. Aufrichtigkeit in einer ernsten Kommunikation.
intimacy-art: Und in musikalischer Hinsicht? - Könnte Ihre musikalische Sehnsuchtsheimat bei einer CD in Richtung Singer-Jazzsong-Writer gehen, so wie Sie es in Ihren Live-Konzerten sind?
REGEN: Darüber denken wir tatsächlich im nächsten Album nach.
intimacy-art: Echt? Ich merke nämlich jetzt wirklich, nachdem ich das dritte Konzert mit Ihnen erlebt habe und die Lieder von den CDs schon so verinnerlicht habe, dass Ihr Live-Auftritt mit der Jazz-Vermengung ein echtes Abenteuer für mich ist.
REGEN: Ich habe ja jetzt auch eine Band, mit der ich wirklich gerne arbeite. Ich muß dafür nur noch neue Lieder schreiben.
intimacy-art: Das Lustige ist, dass Ihr vom Text her oberflächlichster Song - wenn man das überhaupt sagen kann, denn Sie sind nie oberflächlich - "Only My Credit Card Remembers", im Konzert in musikalischer Hinsicht das höchste Niveau erreicht, wodurch er zu einer meiner Live-Lieblingsnummern wurde.
REGEN: Ja, der Spagat von "oberflächlich und nicht-oberflächlich" ist lustig.
intimacy-art: Sie spielen da wie ein Gott.
REGEN: Danke. Es ist tatsächlich so: dass ich eine musikalische Heimat mit den Leuten, Bassist P.J.Phillips und Schlagzeuger John Miller, erlebe, mit denen ich hier in Europa toure: in der Musik mit Ihnen mache ich Pop, Funk, Jazz, also nicht nur ein Genre.
intimacy-art: Sind sie dann auch auf dem neuen Album?
REGEN: Sie leben in London, das ist also nicht so einfach, aber definitiv ein Versuch wert.
intimacy-art: Bringen Sie Ihre exzellente The-Police-Interpretation von "How fragile we are" auch auf die neue CD?
REGEN: Nein, denn ich will keine Cover-Versionen auf eine Platte bringen. Meine Lieblingskünstler sind jene, die ihre eigene Musik schreiben, wie Billy Joel, Elton John. Selbst wenn ich live manchmal ganz gerne interpretiere. Weil das ein echt schönes Lied ist.
intimacy-art: Sie wollen Ihr eigenes Ding machen.
REGEN: Schon weil ich mir denke: wie kannst du eines Künstlers Song besser machen als er es tut - ganz besonders auf einem Album. Ich muß als Songschreiber noch einen langen Weg gehen, daran arbeite ich.
intimacy-art: Jazzer Kyle Eastwood, mit dem Sie ja spielten, hat ebenfalls einen The-Police-Song auf seinem Album. Wer von Ihnen beiden hatte zuerst dieses Faible für die Gruppe?
REGEN: Auf meinem Album spielt nur Andy Summers von The Police Gitarre. Ich habe auch nie mit Kyle über The Police gesprochen. Ich war nur mein ganzes Leben lang The-Police-Fan.
intimacy-art: Ich fand diese Parallele bei Ihnen beiden auffällig, aber auch Sting selbst hat ja eine Jazz-Ambition.
REGEN: Ja. Und das ist die Musik unserer Generation.
intimacy-art: Ich höre also heraus, dass Sie im Moment in der Musik zuhause sind, die sie gerade spielen. Haben Sie dennoch ein musikalisches Ziel?
REGEN: Ich bin noch nicht da, wo ich sein will, ich komme dem aber immer näher.

Singer-Songwriter-Pianist Jon Regen und Bassist P.J. Phillips, live im damals noch existierenden Wiener Birdland (photo © Elfi Oberhuber)

(Interview-Auszug vom 18.05.2008, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at

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