Sunday, December 17, 2006

"Ich schäme mich sicher nicht vor anderen Frauen", Elke Krystufek 1



Auseinandersetzung von Elke Krystufek mit der Sammlung des MAK,
hier die Fotoarbeit Liquid Logic + Monstranz/Monstrance

© Elke Krystufek/MAK, Liquid Logic, 2006, Foto: Georg Schwarz

Die bildende Künstlerin ELKE KRYSTUFEK ist dafür bekannt, ihren nackten Körper bis zur Großaufnahme der Vagina, für ihre Kunst einzusetzen. Wie läßt sich das aber mit dem Schamempfinden der privaten Frau Krystufek vereinen? Scham als Begriff und gesellschaftliches System - ELFI OBERHUBER konfrontierte die Künstlerin hinsichtlich ihrer aktuellen Ausstellung Liquid Logic im Wiener MAK damit und fand dabei vor allem eines: den ungemeinen Schalk der Künstlerin!

Kurzprofil ELKE KRYSTUFEK - am 16.7.1970 in Wien (Sternbild Krebs) geboren - begann bereits mit 20 als Studentin Arnulf Rainers mit ihrer ersten Performance mit Titel Aktion an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. 1993: erste Einzelausstellungen in Wien und Berlin.
Bis heute hunderte Collagen, Leinwandbilder, Fotografien, Zeichnungen, Videos und Performances. Die Malerei, meist bestehend aus Schrift und Bild, ist neben der Fotografie Krystufeks bevorzugtes Medium. Unzählige, meist nackte, provozierende Selbstporträts in Rollenbildern und bis zur Grenzerfahrung dienen ihr als Projektionsfläche der Kunstfigur "Elke Krystufek", um fremd genormte Vorstellungen, Wahrnehmung von Identität, sozial bestimmte Fixierung, kulturelle Gesetze, Sex, Gewalt, Diskriminierung und Popkultur bei fließenden Übergängen von Privatsphäre, Individuum und Öffentlichkeit aufzudecken. Inter/national - auch in Museumsankäufen - gleich erfolgreich ist sie derzeit im Wiener Museum für angewandte Kunst bis 1.4.2007 unter dem Titel Elke Krystufek - LIQUID LOGIC - The Height of Knowledge and the Speed of Thought, bis 18.2. unter SIMULTAN – Zwei Sammlungen österreichischer Fotografie im Fotomuseum Winterthur, bis 7.1. durch die Sammlung Essl unter Kunst der Gegenwart im Kunstverein Villa Wessel, Iserlohn, bis 3.1.2007 unter INTO ME / OUT OF ME im Kunst-Werke Berlin ausgestellt. 2005/06 Professuren an der Akademie der bildenden Künste in Wien und Karlsruhe. Galerie- Vertretung: Georg Kargl Fine Arts , Wien.


intimacy-art: Sie stellen sich in Ihrer Kunst oft nackt als Projektiosfläche dar. Spielt dabei der Begriff bzw. das Gefühl der "Scham" eine Rolle?
ELKE KRYSTUFEK: Nacktheit war viele Jahre mein Thema und spielt jetzt nur noch eine minimale Rolle. In der MAK-Ausstellung gibt es hauptsächlich Objekte und Porträtmalerei zu sehen.
intimacy-art: Es ist aber noch immer viel Nacktheit und damit Erotik vorhanden, vor allem auch Verbalerotik. Schämt man sich als Künstler nur nicht, wenn man weiß, es ist (für die) Kunst?
KRYSTUFEK: In der Kunstproduktion geht es um andere Themen. Scham ist für mich keine künstlerische Frage, mit der ich mich beschäftige. Es gibt nur die Frage des Blicks, des männlichen, des weiblichen, auch des gewalttätigen Blicks. Sprich: Von wem kommt der Blick, und auf wen wird er gerichtet?


Vagina und Penis - (un)gleiche Schamteile

intimacy-art: Die Scham ist als Begriff auch mit der Vagina gleichzusetzen ...
KRYSTUFEK: Wieso nicht mit dem Penis? (lacht)
intimacy-art: Ja, Ihr Bild mit den vielen überdimensional großen Penissen in der 5x10 Meter großen Seidenmalerei, steht interessanterweise im Zusammenhang mit der Kunst. Es trägt den Titel: "Art History - I´ve been there", mit Höhepunkt von einem größten braunen Penis, worüber steht: "Adult section: A Real Shit Penis."
KRYSTUFEK: Ja, dieses Bild mit den acht Penissen bezieht sich auf die Kunstgeschichte, die vorwiegend männlich ist. Und erst seit dem letzten Jahrhundert gibt es so etwas wie eine weibliche Kunstgeschichte, die damit verglichen noch relativ kurz und klein ist.
intimacy-art: Abgesehen davon sind aber auch Vagina und Penis im Leben und in der Kunst als Geschlechtsteile im Hinblick auf die Scham von Mann und Frau völlig konträr besetzt: Die Vagina wird verborgen, der Penis stolz präsentiert.
KRYSTUFEK: In anderen Kulturen, speziell auch auf der Osterinsel, ist die Repräsentation von Vagina und Penis relativ gleich, sei es auf Plastiken oder Zeichnungen.
intimacy-art: Unterscheidet sich der Umgang damit also in der Kunst immer von jenem des Menschen im Alltag?
KRYSTUFEK: Das ist natürlich auch eine Generations- und Kulturfrage. Ich glaube, dass es in meiner Generation keine so starken Unterschiede mehr gibt.
intimacy-art: Sie haben ein Bild mit Titel "Vaginanose" gemacht. Es wirkt wie ein oberflächlicher Witz, ist von der Aussage her aber sehr zynisch, wo es doch in der Kunstgeschichte viele Parllelen mit der Nase bzw. der Pfeife als Phallussymbol gibt, worauf die Männer entweder stolz sind oder sie ihre Triebgesteuertheit aufs Korn nehmen. Und Sie setzen nun provokanterweise auf Ihre Nase - denn das Bild zeigt Ihr Gesicht - die Vagina statt des männlichen Phallus.
KRYSTUFEK: Die Vaginanase entstand eigentlich aufgrund eines kunsthistorischen Textes von Max Raphael über die Osterinsel-Plastiken, deren Gesichtselemente - speziell Nase und Mund - er als Penis und Vagina deutet. Aber auch als Form von Vereinigung, Leben und Tod. Die Osterinsel-Skulpturen standen ja für die Stammesoberhäupter und waren teilweise so etwas wie Grabwächter. Denn es gibt auch einen sehr starken Ahnenkult auf der Insel. Es geht daher in diesem Text Raphaels auch sehr stark um das Überleben, wofür auch die Plastiken stehen. Sie sichern der Osterinsel das Überleben durch den Tourismus.


Ein Penis-Gefolge als Synonym für die Männerdominanz in der Kunstgeschichte, wobei einer ein echter Shit-Penis ist, in Elke Krystufeks Wand-Großbild Art History - I´ve been there, 2006. Dem stellt Elke Krystufek einfach die poetisch wendige Vagina gegenüber: das Segelboot Cunt-Tiki mit geöffnetem Scheiden-Segel.
(MAK-Ausstellungsansicht/Exhibition View „Elke Krystufek. LIQUID LOGIC“, MAK 2006, Ausschnitt aus Foto:© Christian Saupper/MAK, 2006)

Masturbierende Künstler/innen - nichts zum Verlieben

intimacy-art: Jetzt muß ich zugeben, dass mich Ihre Nacktfotos anfangs abschreckten. D.h., ich fühlte mich als Betrachter in meinem Schamgefühl verletzt. Als ich aber dann Ihre Malerei sah, sah ich in Ihrem Strich eine Sehnsucht und Sensibilität, wodurch die Sympathie kam. D.h., Sie vereinen reizvollerweise Ablehnung und Begeisterung. Denken Sie während der Kunstproduktion bewußt an die Reaktion des Betrachters?
KRYSTUFEK: Nein, ich orientiere mich ausschließlich am Kunstkontext, wo immer mit nackten Körpern gearbeitet wurde, speziell mit Frauenkörpern. Das zieht sich durch die Kunstgeschichte hindurch. Das Außergewöhnliche war, dass im Feminismus der 60er-70er Jahre, bildende Künstlerinnen begannen, den Blick auf ihren eigenen Körper zu richten und diesen Körper neu zu definieren. Die Scham richtet sich ja ebenfalls auf die Frage des Blicks. Und ich selbst schäme mich sicher nicht vor anderen Frauen.
intimacy-art: Ach, nicht?
KRYSTUFEK: Nein.
intimacy-art: Meiner Ansicht nach entsteht das Schamgefühl nicht vor dem anderen Geschlecht, sondern sobald man jemanden kennt. Vor Fremden hat man kein Schamgefühl. Aber das ist wieder die private Ebene. - Weil ich aber sagte, die Liebe zu einem Künstler entstünde aufgrund seiner Malerei. Da habe ich nun in Ihrer Ausstellung ein Werk mit dem Zitat gefunden: "Intellectuels love you for paintings, not for masturbation." - Das zeigt mir, dass Sie das eigentlich selbst wissen.
KRYSTUFEK: Da ging es eigentlich darum, dass Intellektuelle sich in der Literatur oft vor berühmten Bildern verlieben.
intimacy-art: Also nicht in das Bild, sondern in eine Person?
KRYSTUFEK: Ja, ein Literaturklischee. Sie begegnen sich in Romanen im Museum.
intimacy-art: Sie verlieben sich aber eben nicht vor Bildern mit Masturbation.
KRYSTUFEK: Es gibt in der Kunstgeschichte auch sehr wenige Masturbationsperformances, wogegen es gigantisch viele Bilder gibt. (lacht)
intimacy-art: Aber im Grunde trifft das meine Annahme: dass man sich in der Literatur vor der Masturbation nicht verliebt, bedeutet ja so gut wie, dass man sich in einen masturbierenden Künstler nicht verliebt.
KRYSTUFEK: Mir geht es nur um das Klischee, dass man sich im Angesicht der "hohen Kunst", bzw. eines Gemäldes aus dem 15. Jahrhundert, so ergriffen fühlt, dass man sich in seinen Kulturbesuchspartner verliebt. Und dass man sich weniger angesichts eines sehr offensichtlich sexuellen Aktes in jemanden zu verlieben beginnt, weil man dann zu viel über Sexualität nachdenken muß. Man ist viel zu viel mit dem realen Begehren, einem realen Problem konfrontiert
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Elke Krystufeks gekonnte Malerei ist einfach zum Verlieben. Hier malt sie das Trio Papst, Cat Stevens und Künstler Bas Jan Ader: Josef, Yusuf, Bas, 2006 © Elke Krystufek, Foto: MAK/Georg Mayer 2006

Wie romantisch ist die toughe Elke Krystufek?

intimacy-art: Fühlen Sie selbst Romantik und Sehnsucht, während Sie malen?
KRYSTUFEK: Malerei ist für mich ein Kommunikationsmedium, in seiner Form ähnlich romantisch wie das Internet. (lacht)
intimacy-art: Aha? Haben Sie denn auch Internetkunst gemacht?
KRYSTUFEK: Meine Kunst ist über Dokumentationen natürlich im Internet sehr präsent. Ich habe einmal mit einer Institution in Frankreich eine CD-Rom produziert, aber keine spezielle Netzkunst hergestellt. Doch das Internet ist natürlich für bildende Künstler das Kommunikationsmedium schlechthin, um ihre Arbeiten zu vertreiben.
intimacy-art: Ich glaube dennoch, dass Ihr größtes künstlerisches Potential in der Malerei liegt. Das mag subjektiv sein, dennoch, Ihr Strich ist etwas, das Ihnen niemand nachmachen kann. Das strahlt einen als etwas ganz Besonderes an. Ich glaube, dahinter liegt eine romantische Frau, die Künstlerin ist, weil sie es gerne ist. Deshalb fühlt man darin diese Sehnsucht, obwohl man von Ihnen adhoc kaum sagen kann, dass Sie ein romantischer Mensch wären.
KRYSTUFEK: Romantisch ist in dieser Ausstellung vielleicht der Film Dr. Love on Easter Island, 2006, wo es darum ging, eine Person zu finden, von der ich mir sicher war, sie existiert. Bzw. eine Filmrolle für jemanden zu schreiben, der die Person des Dr. Love darstellt, die für mich im Gegensatz zu Dr. Freud im Freud-Jahr steht. Als Figur, die den Spiegel hat und die durch den Zufall, eine weibliche Hauptperson um Mitte/Ende 30 zu sein, automatisch zu so etwas wie einer Mutterrolle wird. (lächelt) (Anm. Elke Krystufek trägt als diese Figur das Foto ihrer Mutter, die im realen Leben fotografiert(e), vor dem Gesicht, was zugleich für den Kamerablick im Film steht.)
intimacy-art: Ah, ja.
KRYSTUFEK: Das Romantische war in diesem Zusammenhang aber, jemanden zu finden, den es zu Anfang des Films nicht gegeben hat.
intimacy-art: Und am Schluß dann schon?
KRYSTUFEK: Und am Schluß dann schon.
intimacy-art: Auch in Ihrem echten Privatleben. Wahrscheinlich, oder?
KRYSTUFEK: Also in dem ganzen Film ist es so, dass sich jeder der Darsteller auch selbst spielt. Es gab zwar ein Skript, aber zunächst keine geschriebenen Dialoge. So konnte jeder im Rahmen des Films auch er oder sie selbst sein.
intimacy-art: Das ist der Film, in dem Sie auf einem Boot fahren, im Meer schwimmen und auf die Insel kommen.
KRYSTUFEK bestätigt: Mh, hm.

Im Film Dr. Love on Easter Island kommt Elke Krystufek mit Muttergefühlen auf eine Insel, wo sie die große Liebe findet. (MAK-Ausstellungsansicht/Exhibition View Elke Krystufek. LIQUID LOGIC, MAK 2006, Ausschnitt aus Foto: © Christian Saupper/MAK, 2006)

Lesen Sie in Teil 2 demnächst auf dieser Site: Die gesellschaftlich-tierische Funktion von Scham und wie sehr Elke Krystufek die "Scham" anderer Künstler respektiert
(Interview-Auszug vom 5.12.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)