Tuesday, May 10, 2011

Jon Regen 1: "Ich schreibe besser, wenn ich traurig bin"



Ein Amerikaner spielt bevorzugt in Europa: Jazz-n´-Blues-Singersongwriter JON REGEN. Weshalb scheinen ihn die Europäer tiefer zu verstehen, ihn, der besser schreibt, wenn er traurig ist? Warum schenkt das österreichische Life-Ball-ORF-Fernsehen diesem Verständnis keine Achtung? Und machen sich Bescheidenheit und Dankbarkeit für einen Ausnahmemusiker jemals bezahlt?
- ELFI OBERHUBER sprach mit dem Musiker nach seinen letzten Wien-Konzerten im Wiener Birdland und am Life Ball im Rathaus im Mai 2008, und bevor er am 18.5. 2011; 20h30, nach drei Jahren erstmals wieder in Wien (REIGEN) spielen wird. In diesem Gespräch gibt er den Arbeitsprozeß auf seine kommende CD Revolution preis, deren Lieder er neben seinen Hits mit seiner dreiköpfigen Tour-Band (mit Schlagzeuger John Miller, Bassist PJ Phillips aus London) präsentieren wird.

Jon Regen (photos © Elfi Oberhuber)

Kurzprofil JON REGEN
- (geb. am 8.5.1970 in New Jersey / USA, Sternbild Stier) ist für die Region Österreich so etwas wie eine intimacy: art-Entdeckung. Der New Yorker Pianist, Komponist und Sänger wird „Billy Joel des Souls“ genannt, wobei er das Jazzklavier in überdurchschnittlichem Maß beherrscht. Nach purer Jazz-CD Tel Aviv 2001, zweijähriger Tour mit dem legendären J
azzsänger Jimmy Scott und zuvor Bassist Kyle Eastwood, gründete er sein eigenes Trio mit Drummer Eric Addeo sowie Bassgrandiosum Jonathan Sanborn, Sohn des Saxers David Sanborn. Mit der Stimme eines Schwarzen, berührend-poetischen Texten in rhythmischen Songs sowie pianistischem Können beeindruckt Regen jeden, ob Mann, Frau, jung, alt. In der 2004 erschienenen CD Almost Home definiert er die Schnittstelle von Blues, Jazz und Song neu. Im April 2007 erscheint seine CD Let It Go, wo er mit den Kapazundern der Szene, Brad Albetta als Produzent, Ex-The Police-Gitarrist Andy Summers, Sängerin Martha Wainwright und Kami Thompson, Schlagzeuger Matt Johnson, Cellistin Julia Kent und Gitarrist Jimmy Vivino zusammen arbeitet. Er behandelt hier im Stil einer Fortsetzungsgeschichte das Thema "Verlust einer Liebe", sodass die CD sprichwörtlich ein musikalisch-literarisches Gesamtkunstwerk wird. (Siehe intimacy: art-Kritik MUSIK: MELANCHOLIE DES LOSLASSENS) Ende April 2011 steckt seine jüngste CD Revolution kurz vor den Vertriebsstartlöchern. Sie wirkt atmosphärisch fröhlicher, blues-rockiger und lockerer, ohne jedoch die für Regen typisch bittere inhaltliche Note zu verlieren. Die Co-Musiker sind hier: Andy Summers, Benmont Tench, David McAlmont und andere Stargäste, und Michael Brauer und John Porter mischen die Musik mit. Sie erscheint in Selbstproduktion mit dem Keyboarder-Produzenten Matt Rollings, gemastered von Greg Calbi bei Sterling Sound in New York. Für die intimacy: art-CD-Kritik siehe MUSIK: JON REGEN KOMMT MIT "REVOLUTION" WIEDER NACH WIEN, Hörbeispiele siehe http://jonregen.com/

JON-REGEN-BAND-LIVE-KONZERT IN WIEN: 18.5.2011 im REIGEN (U-Bahn-Station Hietzing), 1140 WIEN, HADIKGASSE, 20h30; sowie am 8.5.2012 ebenfalls im REIGEN WIEN


Karriere-Chance und Dank beim Life Ball

intimacy-art: Ich habe mir gestern im Fernsehen nur aus einem Grund den Life-Ball angesehen: um Sie zu sehen ...
JON REGEN
: ... und wir waren gar nicht im Fernsehen.
intimacy-art
: Genau. So denke ich mir: wenn man als Künstler für die Arbeit dort als Gäste-Unterhalter keine Gage bekommt, so sollte man doch zumindest im Fernsehen gezeigt werden. Ein Musiker wie Sie sollte dafür die Chance haben, im Nachhinein ein größeres Publikum für seine CDs gewinnen zu können. Das fände ich anständig.
REGEN
: Ich finde es in Ordnung, dass das dort verdiente Geld einem wichtigen Charity-Projekt zugute kommt. Es kostet uns zumindest nichts, hier zu sein. Und wir können aus wichtigem Grund mitfeiern, es mit Kunst anreichern.
intimacy-art: Wider solch großer Selbstlosigkeit könnte manch einer auf die Idee kommen, sich seinen Lohn anderweitig zu holen.
REGEN
(kryptisch): Sagen wir so, deine offene Brieftasche auf dem Klavier soll sich mit der Güte des Menschen auch in so einem Rahmen nicht messen ...
intimacy-art
: Warum ich so hoffnungsfroh war, Sie im Fernsehen zu sehen, lag aber eigentlich an etwas anderem: ich dachte mir, oh, nun treten da doch Künstler auf. Es wäre die Möglichkeit gewesen, den Life-Ball ästhetisch anzuheben.
REGEN
: Die Aufmerksamkeit der Fernsehregie liegt nun mal auf dem theatralisch dramatischen Teil. Vielleicht kommen wir aber nächstes Jahr dran, denn auch wir absolvierten eine Hoch-Energie-Show, die die Leute einschließlich unserer Musik sehr mochten.
intimacy-art
: Und wie entwickelt sich Ihre Karriere ohne Life Ball?
REGEN
: Bei unserem ersten Gespräch vor zwei Jahren standen wir noch am Anfang, spielten erst in ein paar Häusern. Heute arbeite ich viel mehr und investiere ich sehr viel Zeit, um Städte zu besuchen und einen entsprechenden Eindruck zu hinterlassen. Und mit dem international wachsenden Publikum an der eigenen Musik noch zu wachsen, ist das eigentliche Ziel.
intimacy-art: Ihre CD Let It Go gibt es ja schon auf dem asiatischen Markt, nicht?
REGEN
: Ja, die Asiaten mögen meine Musik. Der Vertrieb in Japan, wo ich mit Jimmy Scott auch live einmal gespielt habe, läuft seit Jänner.


Vom endlosen Loslassen in Let It Go

rechts: 2 Bilder mit Textausschnittes von Jon Regens Song
The Last Song
(letztes Lied auf der CD:
Let It Go, 2007)

intimacy-art: Die "Let It Go"-Musiktexte aller Lieder zusammen scheinen eine Fortsetzungsgeschichte zu ergeben, worin Sie noch nicht wirklich bereit waren, sich von einer Frau zu trennen ...
REGEN
: Ja, nur dass es nicht nur eine Frau war, sondern eine Reihe von ...
intimacy-art
: ... Frauen.
REGEN (stutzt)
: Hinter dieser scheinbar oberflächlichen Eitelkeit steckt eine Reihe an über lange Zeit zerbrochenen Beziehungen, deren jeweilige situative Stimmung in mir ich in den Liedern beschreibe. Sie schienen sich irgendwie alle zur letztlich vollständigen Geschichte zu ergänzen, während sich ihre Verläufe zwischen Liebe, Verlust und Verlorenheitsgefühlen ähnlich abspielten. Das alles war eine Periode in meinem Leben, die inzwischen einige Jahre her ist. Wenn die Platte rauskommt, entspricht der darin beschriebene Text ja nicht mehr deinem aktuellen Leben.
intimacy-art: Ich halte diese CD für so gelungen, weil man sie über Jahre ständig anhören kann. Sie ist in der Abfolge der Lieder und im Atem der Arrangements so stimmig, dass sie die Nerven des Zuhörers nie strapaziert.
REGEN
: An den Arrangements arbeite ich auch sehr hart. Am Sequenzieren, vom Anfang bis zum Ende. In Wahrheit hat mich diese CD ja fast umgebracht. Während eines ganzes Jahres Arbeit, war sie einfach nie ganz richtig. Alle Lieder noch mal zu remixen, das kostete sehr viel Zeit. Und ich höre noch immer, was alles zu verbessern wäre. Sie war für mich auch so wichtig, weil sie ein Neustart, eine Chance war, als Solokünstler am Piano oder im Trio zu singen und dabei verschiedene Farben zu verwenden, in einer bestimmten, ein bißchen angehobenen Balance zwischen Piano, Schlagzeug und Bass. Letztendlich bin ich aber doch sehr stolz auf die CD Let It Go, weil sie mich Geld, Entscheidungen und Zeit gekostet hat. Auf jene entfernte Zeit, wenn ich einmal leicht und freudig darauf blicken kann, bleibt noch zu hoffen.
intimacy-art: Schön ist ja: In den ersten Texten haben Sie eine Kraft, etwas Neues anzufangen, doch die Vergangenheit holt sie immer wieder ein und wirft sie als Schwachen zurück. Und am Ende ist "The Last Song" gar kein letzter Song, sondern das Gegenteil davon. Das hat viel schwarzen Humor und schildert von der Abhängigkeit des Menschen von seinen Erfahrungen, wobei die Flexibilität mit der Reife nachläßt.
REGEN
: Es gibt ja Leute, die eine Idee für ein Thema haben und darüber ein Lied schreiben können. Das kann ich nicht. In meine Musik fließt ein Teil meines Lebens hinein, sie ist absolut persönlich. Und so schreibe ich prinzipiell besser, wenn ich traurig bin. Einige Lieder dieser CD beziehen sich auf eine bestimmte Person, einige auf verschiedene Personen. Ich war auch mal verheiratet ...
intimacy-art
: War sie diejenige, die Sie mit "The Last Song" meinten?
REGEN
: Nicht absichtlich. Ich habe diesen Verlust aber einige Zeit in mir verhandelt. Bis ich jemand Neuen traf, und diese Trauer von mir abfiel. Und in I Come Undone schreibe ich über eine Freundin, die sich das Leben genommen hat.
intimacy-art
: Ja, ich weiß.
REGEN
: Ich habe gelesen, dass Sie das erwähnt haben. Obwohl ich es nicht gesagt hatte. Denn normalerweise spreche ich nicht darüber.
intimacy-art: Ja, es ist versteckt. Von Ihrer CD-Widmung aus ist es aber nachzurecherchieren. Wie ist das mit ihr gekommen?
REGEN
: Sie war eine Freundin aus meinen Zwanzigern. Wir verloren uns aus den Augen, sie heiratete, ich heiratete. Später kontaktierten wir uns wieder und wurden Freunde. Was dann passierte, konnte ich nicht absehen, niemand konnte das. Sie hatte so viele Interessen und so eine große Energie, die sie in Vielarbeit von Fotografieren, über das Betreiben einer Internetfirma bis zu Grafik fruchten ließ. - Ich liebe es ja, mit jemandem durchs Leben zu reisen; sprich, indem ich ihn, als ich jung war, eigentlich nicht so gut kannte, ihn aber nach zwölf Jahren wiedersehe, und nach Rückschlägen und Wiederaufstehen neu entdecke. Es war wirklich berührend, einander mit etwas mehr Falten im Gesicht wieder zu sehen. Und mit diesem Lied möchte ich von tiefem Herzen aus ihrem Geist erinnern. Ich wollte beschreiben, wie jemand plötzlich nicht mehr da ist, der in Deinem Inneren einen so großen Platz eingenommen hatte, sodass Du Dich dann selbst total verloren fühlst.
intimacy-art
: Im Live-Konzert haben sie das Lied kurzfristig dem verstorbenen Joe Zawinul umgewidmet.
REGEN
: Ja. Weil es auch ein universelles Gefühl beschreibt, das jeder teilt, wenn er jemanden verliert. Für mich war es aber doch eine einmalige Erfahrung, so etwas erleben zu müssen. Es hat mich sehr bewegt. Darüber zu schreiben hat mir am Ende geholfen und brachte mir die Erkenntnis, dass man sich nach dem Tod des Guten im Menschen erinnert. Nach langer Zeit denkt man an die lustigen und glücklichen gemeinsamen Momente. Die Lieder, die ich schreibe, sind im Affekt der erlebten Zeit zwar traurig, nach einiger Zeit wundere ich mich aber, ob das, was ich da singe, wirklich noch stimmt, weil es mittlerweile nicht mehr danach aussieht.
intimacy-art: Sind Sie also jetzt glücklicher?
REGEN
: Ja. Obwohl ich einen Freund zitieren muss, der sagt, "Fröhlichkeit ist eines Songwriters Albtraum". In Konfliktsituationen wie verrückten Beziehungen ringt man zwar sehr mit sich, schreibt aber gut. Meine jetzige Lebensgefährtin ist sehr umgänglich, und sehr stolz auf das, was ich mache. Und wenn ich auf Reisen bin, sehne ich mich sehr nach ihr.


Außerdem demnächst zu lesen in Teil 2: Vom amerikanischen zum europäischen Traum, jüdischen Wurzeln und dem Bewußtsein von einer musikalischen Heimat des Jon Regen mit Ausblick auf die Arbeit an der CD Revolution

(Interview-Auszug vom 18.05.2008, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at

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