Monday, November 13, 2006

"Ich weiß, dass ich Musik nicht verstehe, aber ich brauche dafür Zeit", David Harrington (Kronos Quartet), 2








Kronos Quartet-Bandleader DAVID HARRINGTON im zweiten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER. Eine Philosophie über die Zeit, die sich anfühlt wie Kronos-Musik. Vor dem ergreifenden Finale aber noch die Debatte über "Minimalmusik", die zuhauf im Kronos-Repertoire zu finden ist.

photo: David Harrington (© Elfi Oberhuber)


Von der Nicht-Existenz der Minimalismus-Musik


intimacy-art: Hat Minimalismus eine spezielle Art, mit Zeit umzugehen? Technisch und in der Art, die Wahrnehmung des Interpreten und des Publikums zu berühren?
HARRINGTON: Interessantweise sagte jemand wie Terry Riley einmal: “Während Musikwissenschaftler den Begriff “Minimalismus" definierten, um meine Musik zu benennen, schrieb ich schon ganz etwas anderes." Auch ich glaube nicht an funktionierende Musikdefinitionen. Bei Terry Riley, Steve Reich und jedem anderen so genannten “Minimalisten", denke ich nur an deren Persönlichkeit: Wie es ist, mit ihnen zusammen zu sein, ihre Musik zu spielen, mit ihnen zu proben, mit ihnen zu sprechen.
intimacy-art: Der Zuhörer verliert dabei dennoch generell schnell die realistische Wahrnehmung. Die monotonen Wiederholungen gehorchen einer anderen Logik. Führt diese Zeit-Dehnung bzw. -Rhythmisierung, nicht automatisch in eine optische, surreale Dimension? Schon da oft das “Horror-Genre" damit unterlegt wird. Sie selbst habe Dracula mit Philip Glass vertont.
HARRINGTON: Aber die Qualität von jeder Musik ist doch Wiederholung, Variation, Wechsel. Sicher, manche Stücke wurden Minimalismus-Stücke genannt, wie Terry Rileys In C, das nur aus Basis-Elementen zu bestehen scheint und während eines langen Zeitabschnitts eher langsam wechselt. So bekommt der Hörer das Gefühl, er würde einen bestimmten Raum bewohnen. Aber ich glaube dennoch, dass das bei vielen Arten von Musik geschieht. Es wird lediglich der Minimalismus-Musik zugeschrieben. Das passiert aber auch bei Schubert, bei Mahler!
intimacy-art: Sicher, man könnte auch Alban Berg für “Horror" nehmen: das Atonale, Verunsichernde.
HARRINGTON: Filmmusik bedient grundsätzlich Klischees. Doch sie sucht und definiert auch neue Wege des Ausdrucks, sodass man sie irgendwann automatisch als Schreckensmusik oder als romantische Musik empfindet.
intimacy-art: Ist es Ihrer Ansicht nach also nur eine Konnotationssache: Die Leute lernen und gewöhnen sich daran, ein spezielles Gefühl bei einer bestimmten Musik zu haben?
HARRINGTON: Nun, es gäbe keine Hollywood-Musik ohne Gustav Mahler.
intimacy-art: Dennoch finde ich in allen Ihren CDs trotz Ihrer Vielfalt entweder einschlägige oder zumindest Passagen von Minimalismus-Musik. Sie scheinen eine enge persönliche Beziehung zu diesem Musikstil zu haben?
HARRINGTON: Wir haben so viele Musikformen gespielt und jeder von Ihnen fühle ich mich sehr nahe. Ob tatsächlich überall Minimalismus zu finden ist, hängt davon ab, was unter dem Begriff verstanden wird. Bei Alfred Schnittke gibt es karge, sehr nackte Momente in der Musik - ist das nun Minimal-Musik? Also, ich weiß nicht ...

Lesen Sie in Teil 3 des Interviews demnächst auf dieser Site: David Harringtons wunder Punkt seines Lebens und Schaffens.
(Interview-Auszug vom 18.5.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

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