Sunday, January 07, 2007

"Mich interessiert nicht die Scham, sondern das, wofür Liebe steht", Elke Krystufek 3


Bild: „L’épousée“, 2005 © Elke Krystufek, (dt: Die Geheiratete = Die Angepaßte), Foto: MAK/Georg Mayer, 2006


Letzter Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit der bildenden Künstlerin ELKE KRYSTUFEK über "Scham". Anläßlich ihrer aktuellen Ausstellung Liquid Logic im Wiener MAK. Für die Teile 1+2 und Einführung scroll down.


Wie echt ist Elke Krystufeks Liebe zu Vladimir und Donat?

intimacy-art: Glauben Sie, dass sich das Maß an Schamgefühl eines Künstlers im Laufe der Jahre ändern kann? Auch im Investieren des Körpers bzw. eigener Schamteile, vor allem, wenn das Privat- und Sexualleben mit einem Partner intakt ist, den man wirklich liebt?
KRYSTUFEK: Also, mein größtes Schamgefühl empfinde ich beim Gedanken, in einem Land zu leben, wo der Holocaust so viel an Kultur vernichtet hat. Das halte ich eigentlich für relevanter als die Überlegung, ob man sich jetzt privat oder öffentlich schämt.
intimacy-art: Es ist Ihnen also nie ein Partner begegnet, für den es ein Problem war, dass Sie sich jedem so freizügig zeigen?
KRYSTUFEK: Für mich hat sich diese Frage nie gestellt, weil ich in erster Linie bildende Künstlerin bin. Ob es dabei ein Privatleben gibt oder nicht, war für mich in diesem Ausmaß gar nie relevant.
intimacy-art: Jetzt habe ich in der Ausstellung aber tatsächlich Männer gefunden, die Ihnen besonders viel zu bedeuten scheinen: der Donat und der Vladimir.
KRYSTUFEK: Wer ist Vladimir? (lacht heftig) Den kenne ich nicht.
intimacy-art: Er kommt in einem sehr sehnsüchtig blickenden Selbstporträt von Ihnen im Titel "Dear Vladimir, Love Lolita, 2006", vor.
KRYSTUFEK: In der Zeichnung wird nur Vladimir Nabokov zitiert.
intimacy-art: Und wer ist Donat?
KRYSTUFEK: Donat ist der Kameramann, der die Filmmusik geschrieben hat, der dadurch zu einer der Hauptpersonen des Films wurde. Er bringt im Rahmen dieser MAK-Ausstellung auch seine erste CD heraus: Let me say your name - Donat.
intimacy-art: Ist das Ihr Freund? Man könnte es vom Porträt her annehmen, das Sie von ihm gezeichnet haben. Weil Sie sonst ja meistens nur sich selbst zeichnen.
KRYSTUFEK: Wir kennen uns absolut nur auf beruflicher Ebene.

Elke Krystufeks Panton-Sessel-Assoziation, der einst für Erotikdesign stand: Panton Stuhl (2004) auf Happy Penis, 2006 © Elke Krystufek, Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Natascha Kampusch - Bild von Freiheit und Einsamkeit

intimacy-art: Nun haben Sie die MAK-Ausstellung unter den Begriff "History" gestellt, wobei Sie mit Ihren Werken mit Verführung, Lust, Erotik und Zärtlichkeit den Rahmen bilden: Ihre (Selbst)porträts stellen Sie dabei mit dem Kunstbegriff in Zusammenhang. Das besetzen Sie aber auch mit Widersprüchen wie "Natascha und die Freiheit", was den Betrachter in diesem Rahmen auch "Kunst und die Freiheit" assoziieren läßt -...
KRYSTUFEK: Natascha Kampusch und Freiheit haben ja nicht viel gemeinsam. Dahinter liegt die Idee, niemanden einsperren zu dürfen.
intimacy-art: Genau. Sie haben es aber unter diesen Kunstgeschichte-Titel gesetzt.
KRYSTUFEK: Es gibt da den Zeitungstitel Natascha und die Idee von Freiheit (Natascha the odd idea of freedom), aber als Reflexion darüber, dass ihr Peiniger sie eingesperrt hat. Seine Idee von Freiheit bzw. freiem Leben war ja offensichtlich, jemanden einzusperren.
intimacy-art: Ich hätte mir eher gedacht, dass Sie, nachdem Natascha geflohen ist, infragestellen, ob sie jetzt frei ist?
KRYSTUFEK: Jetzt ist sie schon endlich frei.
intimacy-art: Das sehen Sie ausnahmsweise also einmal wirklich konkret wie im Leben. Mich verleitete es daran zu denken, dass man als Mensch sowieso nie frei ist, und da das im Kunstzusammenhang hängt, dass man in der Kunst eventuell auch nie frei ist.
KRYSTUFEK: Nein, es ging wirklich um diesen konkreten Fall, der mich anfangs sehr interessierte, bevor er so sehr zur Mediengeschichte wurde, dass ich ihn nicht mehr verfolgt habe. Von dieser Geschichte hatten sich offensichtlich viele Frauen angesprochen gefühlt, die vielleicht auch durch ein zu hohes Maß an Kontrolle geprägt sind. Es interessierte mich aber auch die Einsamkeit, die einen Menschen dazu treibt, einen anderen für sich einzusperren.

Elke-Krystufek-Haltung: für die MAK-Ausstellung bei einem Stuhl von Raimund Abraham: Liquid Logic + Raimund Abraham © Elke Krystufek/MAK, Liquid Logic, 2006, Foto: Georg Schwarz

Kunst- und Privatliebe - zwei zu trennende Lieben

intimacy-art: Sie setzen sich selbst nun als Rahmen um diese großen Werke herum, als würden Sie sich in gewisser Weise schon jetzt ein eigenes Denkmal setzen. Als größte Liebe, als größtes Ziel. Im Verhältnis zu den weniger präsenten, realen geschriebenen Liebeswünschen wie "I just was waiting - who waits wins - die Herzspinne", dominieren Ihre Liebesbezüge zur Kunst wie zu Jackson Pollock.
KRYSTUFEK: Bei ihm geht es mir um den orgasm, in Wahrheit aber sehr stark um Sprachspiele. Das kann man nun nicht eins zu eins lesen. In der Ausstellung gibt es sehr viele Spiele der Sprache mit sich selbst. Ein Teil meiner Sprache kommt sehr stark aus der Popkultur, der andere aus der Literatur oder Kunstgeschichte. Und diese verschiedenen Sprachen spielen miteinander.
intimacy-art: Aber sehen Sie, jetzt muß ich Sie halt direkt fragen, letztenendes die Kunst als Ihre große Liebe an? Weil man darin Ihre ganze Persönlichkeit ehrlich ausgedrückt sieht?
KRYSTUFEK: Kunst ist ein Bedeutungssystem, sie ist selbst eine Sprache. Sprachen sind weder ehrlich, noch unehrlich.
intimacy-art: Aber Ihr Ansatz, sich dem zu stellen, kommt wohl aus einem ehrlichen Impuls heraus?
KRYSTUFEK: Ich weiß nicht, ob Ehrlichkeit wirklich ein künstlerisches Kriterium ist. Es geht darum, Zeichen herzustellen, Zeichen infrage zu stellen, in dem Fall, Designobjekte wie den Panton-Sessel, der einst für eine bestimmte Form von Erotik und Design stand, neu zu definieren, oder das Swastika-Symbol mit etwas Unvereinbarem wie Minori in einem Raum zusammen zu zeigen, und damit Behauptungen aufzustellen, dass wir uns vom Ausmaß der Gewalt in diesem engeren Kulturkreis entfernt haben, weil es jetzt möglich ist, Themen zu diskutieren.
intimacy-art: Dann kann man bei Ihnen wahrscheinlich nicht sagen, wie Sie die Pole Liebe, Scham und Kunst setzen? Vielleicht kann man das als Künstler selbst auch gar nicht sagen. - Konkret: Ist Ihnen private Liebe genauso wichtig wie Liebe zur Kunst?
KRYSTUFEK: Das sind Fragen, die ich mir so nicht stellen würde.
intimacy-art: Sie leben es einfach.
KRYSTUFEK: Mich interessiert Liebe als Transzendenz in der Ausstellung, das, wofür Liebe steht. Im Zusammenhang mit der Ehe interessiert mich das als Künstlerin schon vor allem kulturhistorisch.
intimacy-art: Genau, das mit der Ehe fand ich ja auch interessant. Sie haben geschrieben, "Next time, I will say yes". Das steht aber wieder im direkten Bezug zur Kunst. Oder ist das privat gemeint?
KRYSTUFEK: Nichts, was in dieser Ausstellung ist,...
intimacy-art: ...ist privat gemeint. (zusammen gesagt) lacht
KRYSTUFEK: ... ist privat gemeint. (zusammen gesagt) lacht ... Die ganze Ausstellung ist history, bezieht sich also auf die Kunstgeschichte, konkret die historischen Designobjekte des MAK, mit denen ich mich mit meiner Kunst auseinandersetze.


Magic Places, 2005 © Elke Krystufek, Foto: MAK/Georg Mayer, 2006, ist eines der Werke, worin Elke Krystufek ihre wahre Sehnsucht nach echter Liebe zeigt. Selbst wenn darauf fast unmerklich der Satz "The Libido in the Gaze" (Der Trieb in erstarrtem Blick) das Ganze wieder in coole Ironie setzt.

(Interview-Auszug vom 5.12.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

Tuesday, January 02, 2007

"Ob ich die Scham eines anderen verletze, kann niemand beantworten", Elke Krystufek 2


Bild: Mrs. Wiener Werkstätte, 2006 © Elke Krystufek
Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Zweiter Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit der bildenden Künstlerin ELKE KRYSTUFEK über "Scham". Anläßlich ihrer aktuellen Ausstellung Liquid Logic im Wiener MAK. Für Teil 1 und Einführung scroll down.

Menschen schämen sich wie Tiere (nicht)

intimacy-art: Jetzt ist es vom Defintionsbegriff her so, dass die Scham erst dann entsteht, wenn der Mensch - bzw. auch das Tier, das Kind - ein Gegenüber als Gegenüber wahrnimmt. D.h., wenn das Kind merkt: Das ist der Andere, und das bin ich, fängt es an, sich zu schämen. In dieser Hinsicht trägt Scham zur Selbstfindung und letztendlich zur Sozietät bei. Sehen Sie das auch so?
KRYSTUFEK: Ich glaube, dass bei Kindern Scham anerzogen wird. Angesicht von Tieren empfinden wir nicht unbedingt Scham. Sonst würde niemand nackt baden gehen.
intimacy-art: Tiere empfinden aber gegenüber dem Menschen bzw. anderen Tieren Scham. Wenn sie aufs Klo gehen, zum Beispiel die Katzen.
KRYSTUFEK: Hunde nicht unbedingt. (lacht)
intimacy-art: In dem Fall hätte Scham mehr mit Angst zu tun, dem Wunschbild des anderen nicht zu entsprechen.
KRYSTUFEK: Scham hat sehr viel mit Erziehung zu tun und hat natürlich eine gesellschaftliche Funktion: weil Sexualität reglementiert sein muß, einfach, um die Aufzucht von Kindern zu gewährleisten. Gäbe es so etwas wie die Schamgrenzen nicht, wäre das Ausmaß von Sexualität wahrscheinlich so groß, dass es niemand mehr bewältigen könnte.
intimacy-art: Otto Mühl hat mit Berufung auf Sigmund Freud versucht, die Scham als für eine kultiverte Gesellschaft unstattgemäß zu verneinen. Er ist aber an seinen Machtansprüchen gescheitert. Andererseits gibt es den Beweis, dass eine Zweierbeziehung länger hält, wenn beide in ihrem Maß an Scham übereinstimmen. D.h., Schamgefühl bindet auch, wäre daher objektiv gesehen konstruktiv. Braucht es Scham also für privaten und öffentlichen Halt?
KRYSTUFEK: Es braucht Scham sicher, damit Staatsysteme funktionieren. So wie ein Staat als politisches System funktioniert, ist es notwendig, bestimmte Formen von Hierarchien zu erzeugen. Das drückt sich auch stark über Kleidung aus. Nicht aus Zufall tragen fast alle Politiker Anzüge. Oder in gewissen Restaurants besteht immer noch Krawattenpflicht. Scham läuft also nicht nur über Nacktheit, sondern auch über Kleidung und das Demonstrieren von Wohlstand.
intimacy-art: Das Schamgefühl führt damit aber auch zum eigenen Bewußtsein von Identität. Sie haben wahrscheinlichh ein anderes Schamgefühl als ich es habe, sowie jeder von uns eine eigene Identität hat. Damit wären wir beim Künstler und seiner Identität. Es heißt: man muß Identität respektieren. Jetzt haben Sie sich in dieser Ausstellung dreier großer Themen bzw. Figuren angenommen: Bas Jan Aders, des Volkes Rapa Nui und Margarete Schütte-Lihotzkys. - Verletzen Sie durch Ihre Aneignung von ihnen deren Identität, und damit die Scham dieser Künstler?

In Farbe steht das Sujet einmal für sich allein: Farewell to I'm too sad to tell you, 2005 © Elke Krystufek, Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Als Zeichnung mit Titel The BLue Boy, 2006 bildet es andererseits den Hintergrund zum Detail der "Affengrimassen"-Sitzbank von Ferdinand Andri, 1902, aus der MAK-Sammlung (MAK-Ausstellungsansicht/Exhibition View Elke Krystufek. LIQUID LOGIC, MAK 2006, Foto: Christian Saupper/MAK, 2006)


Elke Krystufek verletzt die Scham Bas Jan Aders

KRYSTUFEK: Es stellt sich sicher die Frage, ob ich die Scham von Bas Jan Ader verletze, indem ich Arbeiten von ihm in Form von Malerei reproduziert habe und auf meine Weise wiederaufleben lasse. Andererseits kann das aber auch niemand beantworten.
intimacy-art: Ansonsten haben Sie die Kunst nicht angerührt, sondern rundum Ihre Kunst dazu assoziiert?
KRYSTUFEK: Um die Sammlungsobjekte des MAK, ja. Ich verletzte vielleicht nur die Ordnungsprinzipien der KustodInnen, bei Einzelnen möglicherweise sogar ein Schamgefühl. Andererseits wird in diesem Haus schon so lange Gegenwartskunst gezeigt, dass meine Kunst in diesem Zusammenhang jetzt auch nicht so ungewöhnlich ist.
intimacy-art: Außerdem haben Sie sich eingehend informiert, was für ernsthaften Umgang zeugt.
KRYSTUFEK: Ja. Denn mein Interesse war es, ein Feedback zu bekommen. Ich bat explizit drei KustodInnen um Texte, Ostasien-Islam-Kustode Johannes Wieninger um einen Text über das Swastika-Symbol, Metall-Wiener Werkstätte-Kustodin Elisabeth Schmuttermeier um einen Text über das Symbol des Eherings in der Sammlung und Möbel-Holzarbeiten-Kustode Sebastian Hackenschmidt um einen Text über die Wiener Küche im Verhältnis zur Frankfurter Küche. Am meisten interessierte mich aber, welche Art von Dialog möglich sein würde: zwischen bildender Kunst und Kustoden, bzw. ob es diesen Dialog überhaupt geben kann. Und ich glaube, in dem Moment, wo man einen Dialog in Gang setzt, ändert sich auch so etwas wie Scham. Scham war also nie das Hauptthema, sondern "Sammeln und Verschwinden".
intimacy-art: Und was bedeutet der Titel "Liquid Logic"?
KRYSTUFEK: Der Titel kommt aus der Architektur-Theorie und stammt aus einem Buch von Peter Weibel und Georg Flachbart, wo es darum geht, wieviele Prozesse von Computern, in meinem Fall auch vom menschlichen Gehirn, ohne bewußtes Nachdenken bewältigt werden können. Bzw.: wieviele Prozesse automatisiert werden, um entweder komplexere Architektur zu erzeugen oder auch komplexere Ausstellungen auf die Beine zu stellen.

Elke Krystufek mit Phallusnase: Vaginanose (Max Raphael revisited), 2006 © Elke Krystufek
Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Lesen Sie in Teil 3 demnächst auf dieser Site: Die echte Liebe der Elke Krystufek
(Interview-Auszug vom 5.12.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)