Tuesday, January 02, 2007

"Ob ich die Scham eines anderen verletze, kann niemand beantworten", Elke Krystufek 2


Bild: Mrs. Wiener Werkstätte, 2006 © Elke Krystufek
Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Zweiter Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit der bildenden Künstlerin ELKE KRYSTUFEK über "Scham". Anläßlich ihrer aktuellen Ausstellung Liquid Logic im Wiener MAK. Für Teil 1 und Einführung scroll down.

Menschen schämen sich wie Tiere (nicht)

intimacy-art: Jetzt ist es vom Defintionsbegriff her so, dass die Scham erst dann entsteht, wenn der Mensch - bzw. auch das Tier, das Kind - ein Gegenüber als Gegenüber wahrnimmt. D.h., wenn das Kind merkt: Das ist der Andere, und das bin ich, fängt es an, sich zu schämen. In dieser Hinsicht trägt Scham zur Selbstfindung und letztendlich zur Sozietät bei. Sehen Sie das auch so?
KRYSTUFEK: Ich glaube, dass bei Kindern Scham anerzogen wird. Angesicht von Tieren empfinden wir nicht unbedingt Scham. Sonst würde niemand nackt baden gehen.
intimacy-art: Tiere empfinden aber gegenüber dem Menschen bzw. anderen Tieren Scham. Wenn sie aufs Klo gehen, zum Beispiel die Katzen.
KRYSTUFEK: Hunde nicht unbedingt. (lacht)
intimacy-art: In dem Fall hätte Scham mehr mit Angst zu tun, dem Wunschbild des anderen nicht zu entsprechen.
KRYSTUFEK: Scham hat sehr viel mit Erziehung zu tun und hat natürlich eine gesellschaftliche Funktion: weil Sexualität reglementiert sein muß, einfach, um die Aufzucht von Kindern zu gewährleisten. Gäbe es so etwas wie die Schamgrenzen nicht, wäre das Ausmaß von Sexualität wahrscheinlich so groß, dass es niemand mehr bewältigen könnte.
intimacy-art: Otto Mühl hat mit Berufung auf Sigmund Freud versucht, die Scham als für eine kultiverte Gesellschaft unstattgemäß zu verneinen. Er ist aber an seinen Machtansprüchen gescheitert. Andererseits gibt es den Beweis, dass eine Zweierbeziehung länger hält, wenn beide in ihrem Maß an Scham übereinstimmen. D.h., Schamgefühl bindet auch, wäre daher objektiv gesehen konstruktiv. Braucht es Scham also für privaten und öffentlichen Halt?
KRYSTUFEK: Es braucht Scham sicher, damit Staatsysteme funktionieren. So wie ein Staat als politisches System funktioniert, ist es notwendig, bestimmte Formen von Hierarchien zu erzeugen. Das drückt sich auch stark über Kleidung aus. Nicht aus Zufall tragen fast alle Politiker Anzüge. Oder in gewissen Restaurants besteht immer noch Krawattenpflicht. Scham läuft also nicht nur über Nacktheit, sondern auch über Kleidung und das Demonstrieren von Wohlstand.
intimacy-art: Das Schamgefühl führt damit aber auch zum eigenen Bewußtsein von Identität. Sie haben wahrscheinlichh ein anderes Schamgefühl als ich es habe, sowie jeder von uns eine eigene Identität hat. Damit wären wir beim Künstler und seiner Identität. Es heißt: man muß Identität respektieren. Jetzt haben Sie sich in dieser Ausstellung dreier großer Themen bzw. Figuren angenommen: Bas Jan Aders, des Volkes Rapa Nui und Margarete Schütte-Lihotzkys. - Verletzen Sie durch Ihre Aneignung von ihnen deren Identität, und damit die Scham dieser Künstler?

In Farbe steht das Sujet einmal für sich allein: Farewell to I'm too sad to tell you, 2005 © Elke Krystufek, Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Als Zeichnung mit Titel The BLue Boy, 2006 bildet es andererseits den Hintergrund zum Detail der "Affengrimassen"-Sitzbank von Ferdinand Andri, 1902, aus der MAK-Sammlung (MAK-Ausstellungsansicht/Exhibition View Elke Krystufek. LIQUID LOGIC, MAK 2006, Foto: Christian Saupper/MAK, 2006)


Elke Krystufek verletzt die Scham Bas Jan Aders

KRYSTUFEK: Es stellt sich sicher die Frage, ob ich die Scham von Bas Jan Ader verletze, indem ich Arbeiten von ihm in Form von Malerei reproduziert habe und auf meine Weise wiederaufleben lasse. Andererseits kann das aber auch niemand beantworten.
intimacy-art: Ansonsten haben Sie die Kunst nicht angerührt, sondern rundum Ihre Kunst dazu assoziiert?
KRYSTUFEK: Um die Sammlungsobjekte des MAK, ja. Ich verletzte vielleicht nur die Ordnungsprinzipien der KustodInnen, bei Einzelnen möglicherweise sogar ein Schamgefühl. Andererseits wird in diesem Haus schon so lange Gegenwartskunst gezeigt, dass meine Kunst in diesem Zusammenhang jetzt auch nicht so ungewöhnlich ist.
intimacy-art: Außerdem haben Sie sich eingehend informiert, was für ernsthaften Umgang zeugt.
KRYSTUFEK: Ja. Denn mein Interesse war es, ein Feedback zu bekommen. Ich bat explizit drei KustodInnen um Texte, Ostasien-Islam-Kustode Johannes Wieninger um einen Text über das Swastika-Symbol, Metall-Wiener Werkstätte-Kustodin Elisabeth Schmuttermeier um einen Text über das Symbol des Eherings in der Sammlung und Möbel-Holzarbeiten-Kustode Sebastian Hackenschmidt um einen Text über die Wiener Küche im Verhältnis zur Frankfurter Küche. Am meisten interessierte mich aber, welche Art von Dialog möglich sein würde: zwischen bildender Kunst und Kustoden, bzw. ob es diesen Dialog überhaupt geben kann. Und ich glaube, in dem Moment, wo man einen Dialog in Gang setzt, ändert sich auch so etwas wie Scham. Scham war also nie das Hauptthema, sondern "Sammeln und Verschwinden".
intimacy-art: Und was bedeutet der Titel "Liquid Logic"?
KRYSTUFEK: Der Titel kommt aus der Architektur-Theorie und stammt aus einem Buch von Peter Weibel und Georg Flachbart, wo es darum geht, wieviele Prozesse von Computern, in meinem Fall auch vom menschlichen Gehirn, ohne bewußtes Nachdenken bewältigt werden können. Bzw.: wieviele Prozesse automatisiert werden, um entweder komplexere Architektur zu erzeugen oder auch komplexere Ausstellungen auf die Beine zu stellen.

Elke Krystufek mit Phallusnase: Vaginanose (Max Raphael revisited), 2006 © Elke Krystufek
Foto: MAK/Georg Mayer, 2006

Lesen Sie in Teil 3 demnächst auf dieser Site: Die echte Liebe der Elke Krystufek
(Interview-Auszug vom 5.12.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

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